Stimmengewirr 2000 – Die mediale Ausprägung gesellschaftlicher Verhältnisse trägt dazu bei, Wechselwirkungen zwischen Fachgebieten nicht nur zu beschleunigen, sondern auch deren Rezeptionsmöglichkeiten zu erweitern. Die Spezialisierung einerseits hat andererseits eine Universalisierung ("Globalisierung“) zur Folge. Gearbeitet wird im Speziellen, gedacht wird im Allgemeinen. Gesehen wird das Wechselverhältnis von getaner Tat und Auffassungsweisen. Die getane Tat wird immer spezifischer, nicht an das allgemeine Denken angliederbar. Wurf und Entwurf sind nicht vom gleichen Verfasser. Ein Team tritt an die Stelle des Individuums. "Überzeitlich Unteilbares“ teilt sich in terminlich festgelegte Arbeitsgruppen.

Eine Unschärfe trifft die Einzelperson: Einerseits die Aufgabe individueller Denkmöglichkeit, andererseits die Eingliederung in Denkeinheiten zur Erarbeitung des Speziellen, die von individueller Fähigkeit abhängig ist. Es folgen Skizzen weiterer Phänomene kurz vor und kurz nach 2000...






Die Welt des Lachens und die Welt der toten Blicke. Die "kalten, vertrockneten Augen“ (Nietzsche) sind die verkabelten Glasfenster zur heutigen Welt. Und Sie lächeln gerahmt.






Animatoren Die bewegten Beweger kümmern sich um die erstarrte Gemeinde. Sie wollen die Starre der "toten“ Zuschauer überwinden helfen. "Tot“ ist man, wenn man erklärt wird. Die "Töter“ erklären, wie man sein muß, um lebend zu sein. Die Erklärung ist z.B. Bestandteil eines Programms, das "Töten“ geschieht z.B. während einer Sendung, das "Lebendig-werden“ ist z.B. ein Spiel innerhalb der Sendung. Der Animator kennt das Regelwerk der Spiele. Er ist Vorkommnis im Programmablauf, ein Gestalter des kommunikativen Rituals.




Der große Atraktor Allelopathie ist das "Mitschunkeln“, dort, wo sich alle drängen. Alles, das wie von selbst in eine Ordnung gerät, ist überindivi-duell. Sich scharen um etwas, das einen in eine Ordnung bringt, ist das unmittelbare Verlangen.Das Schunkeln schafft Ordnung indem es Richtung schafft. "Links, rechts, vor, zurück,...“





Im Augenblick der Urteilslosigkeit und des Nichtmeinens, des Nichtvermögens und Nichtbewegens urteilt das "Kein“. Die "Leere des Herzens“ (Scheler) ist das "phänomenologische Urdatum“ für alle Formen der Leere. Leerer Raum ist hiernach weder Anschauungsform apriori (Kant), noch metaphysisch begründend. Vielmehr stellt er ein Abbildungskorrelat der originären Gegebenheitsweise "leer“ dar. Die Erfahrung der inneren Leere ist erstgegeben. Das Strecken der Hände in den "leeren Raum“ entsteht durch das erstmalige Auftreten eines Hindernisses (z.B. eines Steins), was im nachhinein das Strecken als "Strecke“ durch Leeres definiert.

mimicry (2010) __

the shaman (2009) __

sieg und niederlage (2008-10) __

expansion der gegenwart (2009) __

brigade joussance (2004) __

spaßkulturen (1997) __

international fuel crisis (2007-2010) __

kunst des nationalismus (2006) __

unkirche (2007) __

widerlegung der unterhaltung (1998) __

traktat über die schlange (1998) __

turns (2001-2009)

Spaßkulturen (1997)

Theorien über das Lachen überziehen selbiges mit einem Schleier der Verfälschung. Je scharfsinniger die Analyse, desto mehr löst es sich in einen Reflex auf, freilich in einen "Luxusreflex"(Koestler 1961), da dieser nicht von körperlichen Reizen ausgelöst werde. Will ich das Lachen an ihm selbst erfahren, indem ich es z.B. als unbedingten Ausdruck des menschlichen Wesens erfasse, unterlasse ich seine physiologische Derbheit, und das Lachende daran entschwindet abermals. Die Annäherungen an eine Theorie überschlagen sich z.T. im Ansatz.

Elias Canettis Interpretation des Lachens sieht als dessen Ursache das Ausbleiben des durch plötzliche Überlegenheit erwarteten Futters (Jemand stürzt, hilflose Beute, Überlegenheit des Jägers, Zähnefletschen). Lachen als symbolischer Akt der Einverleibung.

Thomas Hobbes brachte die Überlegenheit ins Spiel, übersah aber die Animalisierung des Phänomens.

Immanuel Kant sieht im Lachen eine "der Gesundheit zuträgliche Bewegung", ausgelöst durch eine Affektion "aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in Nichts". Er erkennt, daß der Auslösergedanke "im Grunde nichts vorstellt", woran der Verstand an sich ein Wohlgefallen finden könnte. Das, worüber man lacht, ist nicht komisch.

Schopenhauer folgt hierin meckernd und führt den Gedanken der "Inkongruenz" zwischen Begriff und Objekt, zwischen Abstraktion und Anschauung ins Feld.

Hegel der Große ähnelt mit der Erwähnung des Kontrasts zwischen Wesen und Erscheinung, die das Lachen bewirke.

Der intelligente Jean Paul widerspricht Kant, wenn er die Auflösung einer gespannten Erwartung in etwas behauptet. Erfüllte Erwartungen können durchaus komisch sein, wenn die Erfüllung anders als erhofft geschieht, sich aber nicht in Nichts auflöst. Jean Pauls Ursache für das Lachen ist im Grunde ein "Gedankentanz" der Kontraste.

Goethe meint als Ursache den "sittlichen Kontrast" wahrzunehmen, der das Lächerliche provoziere.

Plato erklärt das Lachen für schädlich, da es von wichtigeren Dingen ablenke und verfälsche. Die platonische Welt ist spaßfrei. Künstler und Spaßmacher müssen vor den Toren der Republik ausharren. Plato hat Humor.

Schüler Aristoteles dient es zur "kathartische(n) Spannungsabfuhr". Lachen "zum Abreagieren", wie es heute hieße. Für Aristoteles sind Emotionen intellegible Momente, die neben dem bloß Reflexhaften bestehen.

Als Reflex, aber freilich als "Luxusreflex", sieht A. Koestler das Phänomen, da es als solcher beschrieben werden kann, ohne körperliche Reize als Auslöser zu besitzen. Dieses sonderbare Phänomen hat seine Stellung im Bereich des Schöpferischen, des "Göttlichen Funkens".

Helmut Plessner sieht im Lachen ein eigentümliches Ausdrucksgenus des Menschen. Ein Zuviel der Eindrücke führt zur Flucht ins Lachen, ein Zuwenig ins Weinen. Lachen als spezifisch menschliche Geste.

H.Läuffer u.a. fassen das Lachen als ein Erinnern ohne Gedächtnis. "Das, was wir uns täglich antun, können wir endlich endlich lachend auch andere spüren lassen, ohne Strafe zu fürchten. Lachen ist die öffentliche Form der Wiederkehr des Verdrängten....Nur der Körper erinnert sich an eine frühe Lust: auseinanderplatzen will er. Um so erbitterter sich Angst und Wunsch im Inneren reiben, desto heißer stürzt die Lava aus den lachenden Mäulern." (Der Spaß ist ein Meister aus Deutschland 1990)

J.A.R.A.M. van Hooff (wiss. Abbildungen rechts) beschäftigt sich unter dem Stichwort "non verbal communications" auf naturwissenschaftlicher Seite mit dem Lachen und dem Lächeln, welche er phylogenetisch zu differenzieren versucht. Er untersucht gegebene Ausdrucksmodi ("displays") bei Primaten und ordnet sie bestimmten sozialen Zusammenhängen zu. Dabei kommt er zu dem Schluß, daß im Analogieschluß das weise Lächeln ursprünglich eine Drohgebärde darstelle (Skizze: linker Strang), während das schallende Gelächter eher in Zusammenhang mit Nahrungsaufnahme oder sozialen Funktionen zu sehen sei (rechter Strang).

Richter: Aus welchem Grund war
dieser Mann verurteilt worden

Zeuge 8: Er hatte einen Fluchtversuch unternommen
Ehe er in die Zelle eingeliefert wurde
mußte er während des Abendappells
an den Häftlingen vorbeimarschieren
Es war ihm eine Tafel umgebunden worden
mit der Aufschrift
HURRA ICH BIN WIEDER DA
Diese Worte mußte er laut rufen
und dazu mit einem Paukenschlegel
auf eine Trommel schlagen

(Peter Weiss, Die Ermittlung, 1969)

 


Initial für die Beschäftigung mit Spaßkulturen waren Vorkommnisse in TV Unterhaltungssendungen, die die Kehrseite des "grenzenlosen Vergnügens", beispielsweise das öffentliche Bloßstellen und Quälen von Personen um Stimmung zu erzeugen, darstellten. In dem Buch "Der Spaß ist ein Meister aus Deutschland" (H.Laufer u.a., 1993) wird die Ansicht vertreten, daß das Vergnügen ein wesentlicher Faktor bei der Setzung oder Durchsetzung totalitärer, also ernster, Ideen ist.

Die Autoren belegen die Wichtigkeit des Themas Spaß anhand historischer Fakten und kultureller Ereignisse der Jahre 1933-45, aber auch anhand kontinueller Merkmale innerhalb der Medienwelt unserer Zeit (z.B.Produktwerbung). In jedem Fall wird dem Spaß eine Katalysatorfunktion zugeschrieben, die dazu dient, größere Menschenmengen weitreichend zu informieren. Witz, Wein, Weib und Würstchen sorg(t)en damals für mehr Überzeugungsarbeit als so mancher Parteifunktionär. Das ist die vergessene bzw. verdrängte Seite des Nationalsozialismus, denn sie ist der Spaßgesellschaft näher als es ihr lieb ist.


Joseph Goebbels 1941: "Das ist also die eigentlich große Kunst: zu erziehen, ohne den Anspruch des Erziehens aufzutreten, ohne daß das Objekt der Erziehung überhaupt merkt, daß es erzogen wird; wie ja das überhaupt auch die eigentliche Aufgabe der Propaganda ist. Nicht das ist die beste Propaganda, immer sichtbarer zutage zu treten, sondern das ist die beste Propaganda, die sozusagen unsichtbar wirkt, das ganze Leben durchdringt, ohne daß das öffentliche Leben überhaupt von der Initiative der Propaganda irgendeine Kenntnis hat!"

Schon 1933 fordert er: "Der Rundfunk darf nicht so lehrreich sein. Weniger Hörspiele und Vorträge und mehr Musik und Unterhaltung. Allgemeine Tendenz überall: auflockern!"

Spaß ist nichts anderes als verordnete Auflockerung, eine epidemische Stimmung, die ‘überschwappt’ und Massen bewegt. Alles geht. Die Fest- und Unterhaltungskultur der Nazis verhalf der allgemeinen inneren Befreiung, die Perversionen des Vergnügens in Gang setzten konnte, die sich bis hin zu den infamen Lagerspielchen ausbreiteten, welche KZ-Schergen mit den Insaßen durchführten.

Mentozid and Fun: Jerry Springer Show, USA

- Kandidaten werden wie Kampfhähne aufeinander gehetzt. Pro Sendeeinheit (zwischen den Werbeblöcken) gibt es mindestens eine Prügelszene. Zwischen den Prügeleien wird hauptsächlich geschrien. Die Themen sind zudem abenteuerlich:

Sexy Secrets, I am a transsexual, I have two lovers, My mom is a whore, etc.

- Perversion als Darstellung: Intimstes wird nach außen gekehrt (Ansprechen der sogen. niederen Triebe). Vulgäres, obszönes Gehabe und Geschimpfe, bei dem das Publikum als verurteilende Instanz mitstreitet.

- Der Sendeablauf ist stark ritualisiert. Es fließt, soweit ich beobachten konnte, nie Blut. Die Szenen und die Kandidatenpräsentation sind so absurd, daß der Gedanke eines Fakes sehr nahe liegt, so absurd, daß es durchaus auf realen Konstellationen beruhen könnte (mit der Spielregel: Schlage zu, raste aus, aber verletze niemanden ernstlich), so absurd, daß es scheint, als modernes Theaterstück einer dauernden Uraufführung ausgesetzt zu sein.

- Die Rolle des Moderators ist die eines gemäßigten Menschenverachters. Gemäßigt in seinen Ansichten, zynisch in seinen Absichten. Jerry Springer war jahrelang Bürgermeister der Stadt Chicago.

- Die Jerry Springer Show wird nach starken Protesten nach etwa 6jähriger Laufzeit im Mai 1998 abgesetzt. (letzter Stand: Mai 98)

Körperein- und -austritte wurden seit jeher in Komödien als Urquell des Lächerlichen genutzt. Das Rülpsen, Furzen, Rotzen, Weinen, Spucken und Pinkeln sorgten für eine gewisse Unangemessenheit, die nach klassischer Auslegung dem Komischen zugrunde liegt. Die kantische "gespannte Erwartung" löst sich heute nicht in "Nichts" auf, sondern endet in den Megabowlen von "Ballermann 6".

Die gespannte Erwartung ist wie warme Limonade.

Von den uns zur Verfügung stehenden Löchern wird in Zukunft der After eine mächtige Rolle spielen. In den Ausscheidungen wird man nach dem Komischen wühlen. Auf den Schließmuskel wird man sich verlassen müssen, denn Verdautes wird es nicht mehr geben. Der Wechsel von der oralen zur analen Kultur steht als nachgeschichtliche Duftmarke in den An(n)alen der Zukunft.

Schon längst ist das Jahr nicht mehr das Hauptmaß aller Ereignisse. Im Zuge der Beschleunigung der politischen, ökonomischen und zuletzt auch kulturellen Prozesse zählt man auf das Gestern, Heute und Morgen. Was letzte Woche geschah, ist weit zurückliegend. "Mit Goethe durchs Jahr" war letzte Woche; gestern und heute unterhält man sich durch die Nachmittage und Abenden der deutschen Wohnzimmer. Helden des neuen Gemütsglückes sind Personality-Pfaffen, die tagein und tagaus Problemchen bloßlegen, breittreten und - wichtig - vergessen lassen. Das Kurzzeitgedächtnis ist der beste Verhandlungspartner wenn es um Publikumsgunst geht.

Zeitweilige Stimmulierung, kontrollierte Eskapaden, argloses Ausblenden und dergleichen mehr kennzeichnen alle Arten von Fernsehunterhaltungen. Die strikte Wiederholung erscheint als das wichtigste Merkmal. Wir kennen die Scherze, und die Probleme kennen wir sowieso. Verläßlichkeit bietet die Gewißheit der Wiederholung, nicht die Kompetenz der Darbietung. Verläßlich ist, wer oder was sich täglich in Erscheinung bringt. Wer ständig auftritt, muß offensichtlich Kompetenzgründe vorweisen können. Jedes Bild, das sich wiederholen läßt, ist somit begründet.

Wenn Moderatorin Kimsy von MTV einem wünscht, "voll abzufeiern" und sich ihrerseits auf "Party ohne Ende" freut, möchte man ihr den Hals umdrehen, aber wenn sie das jeden Tag tut, wird man zu ihrem Fan.

Den Unsinns- und Schlagerboom (z.B. Helge Schneider, Guildo Horn) zähle ich zum großen Augenzwinkern der 90er Jahre. Wenn der deutsche TV-Moderator beim europäischen Schlagerwettbewerb beklagt, daß manche Ostländer "unseren Guildo" nicht verstehen, da die erforderlichen Punktzahlen ausbleiben, so meint er damit das Mißverstehen des Augenzwinkerns, welches von der deutschen Augenzwinker-Avantgarde ausgeht. Die Batesonsche Injunktion, also das stillschweigende Übereinkommen einer Gruppe, das hier besagt: "Alles ist Fun." Jetzt, heute, drückt man im Angehen schon seinen unbedingten Spaßeswillen aus. Dabei nimmt man das, was man dabei wird, besonders ernst.

Spaß in seiner organisierten Form penetriert die zarten Gemüter. Schützenfeste, Karnevalsumzüge, etc. übertragen das Militaristisch-Bürokratische des öffentlichen Raumes (Arbeits- und Gemeinschaftsleben) in das Freizeitverhalten.

Die Arbeit ist ursprünglich wertschöpfend, die Organisation (das militärisch-bürokratische Moment) ist werterhaltend. Freizeit ist existentiell nicht positiv definiert und muß daher im obigen Sinn "genutzt" werden, d.h. wertschöpfend und werterhaltend.

Eine Ratte mit implantierten

Elektroden drückt eine Taste, die

ihr Hirn zu stimulieren bewirkt.

Das Tier muß jedesmal erneut die

Taste betätigen, um einen Reiz

auszulösen. Dabei wurde beobachtet,

daß sich manche Tiere über 24

Stunden lang ohne Unterbrechung

stimuliert haben, bei bis zu 8000

Auslöserreizen in der Stunde

(192.000 Stimuli pro Tag).

Das Bloßlegen von Persönlichem ist ein

Merkmal der medialen Spaßgesellschaft.

Was das Verantwortungsfleisch nicht erträgt,

verursacht dauerhafte Schäden.

Abnutzungserscheinungen des Gemüts sind so

die absehbare Folge. Reparatursendungen,

wie das Wort zum Sonntag, Hobbythek,

Abenteuer Forschung, Lindenstrasse,

Boulevard Bio, etc. greifen in die Eingeweiden

der Nutzer, um künstliche Prothesen einer

allgemeinen Verfassung zu implantieren.

Ausschnitte


"Arbeit macht Spaß" (Anzeige 80er Jahre)

"Fun Gebot" (Plakatkampagne von C&A, 1998)

"Wir wollen den Spaß zurückholen" (Springer&Jakobi)

"Ein bißchen Spaß muß sein" (Roberto Blanco)

"Party bis daß der Arzt kommt" (Einladung)

"Die gute Laune ist ein Kriegsartikel" (Joseph Goebbels 1940)

"Gib Gas, ich will Spaß" (Schlager)

"Fun ohne Ende" (MTV)

"Der Spaß ist ein Meister aus Deutschland" (Buch 1990)

"Fleisch- und Wurstfestival" (Broschüre 1997)

"Mega Fun", "Mordsspaß" (Hörensagen)

"Ich bin ein Trottel" (Sven, 19)

"Ein Porsche macht Spaß" (Anzeige 1997)

"Aus purer Freude am Leben" (Anzeige 1997)


das unreale "Wir wollen den Spaß wieder zurückholen.", heißt die erste Maxime der bedeutendsten deutschen Werbeagentur (Springer & Jakoby, 1997). “Wir wollen den Spaß wieder zurückholen” heißt: Die Fastenzeit hat ein Ende. Das vereinigte Selbstbewußtsein ist idealisierend, thesensetzend ?und spaßbringend. Es will sich seines nat?rlichen bzw. logischen bzw. ontologischen ‘Unglücks’, das jedes Selbstbewußtsein, so es denn sich als freies erkennt, begleitet, nicht mehr bewußt sein. Die neue Lockerheit im Umgang mit Formen, Dingen und Bildern steht an, um in die von Vil?m Flusser prognostizierte Nachgeschichte einzugehen. Wo ist der Spaß geblieben, um von Werbemachern zurückgeholt werden zu müssen? Der massenhafte ist auf der tausendjährigen Straße des Seelenheils geblieben. Das schlechte Gewissen trieb es, das Seelenheil, in das private Heim. Die Wirtschaftswunderjahre waren das Werk heimlicher Hände. Sie spendeten sich heimlich Beifall. Das Heimliche hat in der Wende 81 sein vorläufiges Ende gefunden. Jetzt wird es unheimlich offen, denn es soll spaßig werden.

Aber wie stellt man so etwas dar? Wie wird der jokologische Imperativ verwirklicht? Eine Antwort ist: professionell. Die Form des organisierten Vergnügens, also der Spaßwelle, die in den letzten Jahren herüberschwappte, von dort, von wo der Spaß zurückgeholt werden soll, ist ein Zeichen, daß der Spaß wieder zurückgeholt wird. Comedy Factories, Fun Shows, Raves, Parties, Themenparks, und überhaupt die herausfordernde Brüskierung der Ernsthaftigkeit durch das verkrampft zwinkernde Auge entlassen das gegenwärtige Bewußtsein, das sich zunehmend im massenmedialen Kontext fundiert, in den Raum des Unrealen (Mitroff und Bennis, 1989). Diese Entlassung oder Zuflucht ist nach Mitroff und Bennis eine Folge der zunehmenden Komplexität der realen Welt. Sie nennen als Beispiele die weltweite Vernetzung von Daten, die Zunahme der Informationsangebote und der informierten Zusammenhänge, die Beschleunigung der Neuentwicklungen, etc. In den USA führte dies u.a. dazu, daß Nachrichten (TV, Radio, Zeitung) über die komplexer werdende Welt nicht ausführlicher, sondern knapper und flacher wurden. Schlagworte ersetzen so den Kontext des tatsächlichen Geschehens. Der Kontext weicht dem zweidimensionalen Bild eines Geschehens. Das Zweidimensionale ist jedoch pure Fiktion, reiner Idealismus. Es existiert nicht in Realitäten. Man muß sich nur genügend nahe an die Fläche begeben, um ihre Räumlichkeit zu wissen. Die Spiegelung des prähistorischen Menschen in der Wasseroberfläche eines Sees hat eine analoge Faszination: Der Versuch, sich selbst in Erscheinungen zu erkennen. Man kann heute den Zauber und den Glauben an das zweidimensionale Spiegelbild nur erahnen. Man kann darüber nur spekulieren, daß aufkommender Wind dieses Bild zerstörte, und daraus der Wunsch entstand, es wieder aufzubauen, es für sich herzustellen, um sich an dem Flächenhaften zu ergötzen. Der handelnde Prähistorier machte sich Vorstellungen, aber keine Illusionen. Vielzusehr war er in den täglichen Handlungsabläufen und Zyklen befangen. Er war gewiß kein Naturmensch, denn er differenzierte nicht zwischen sich und dem, was ihn ausmachte. Im Sinne des Rechtsphilosophen Hans Kelsen herrschte über ihn nur das währende Gesetz und die daraus hervorgehende Vergeltung dessen, was ihn ausmachte an ihm selbst. Daß das Leben erfüllt, glücklich, spaßbringend, erfolgreich sein soll, ist dem prähistorischen Menschen völlig fremd. Ihm soll das Leben nur genügen. Das heutige Leben soll dagegen vergnügen, und das am besten jetzt und immer wieder. Der Moment des Unrealen spielt hierbei die gewichtigste Rolle.

Die Flucht in sogenannte virtuellen Welten steht an der Schwelle des dritten Jahrtausends als Möglichkeit, sich im Zweidimensionalen zu genügen. Die Illusion von zweidimensionalen euklidischen Räumen ist in dieser Hinsicht zweifach unreal: Erstens ist das Abbild als digitale Punktprojektion eine Täuschung des Bildes als Fläche, und zweitens ist der euklidische Raum selbst eine Fiktion, und dies letztere ist eine Obervirtualität, die sich seit der Renaissance als implizites Anschauungs- und Darstellungsmoment behauptet. Das Unreale ist darin real, daß es sich behauptet, es ist aber darin fiktiv, daß es seine Behauptung begründet. Eine Möglichkeit der Begründung ist das Ausschaltenkönnen der Apparate. Massenmedien, wie z.B. das Fernsehen, begründen sich darin, ausgeschaltet werden zu können, aber nur dadurch, daß sie es eben nicht können, behaupten sie sich. Man kann nicht Teile des Kulturapparates, zu dem der Fernseher gehört, einfach ausschalten, wann immer man will. Man will dann, wenn man muß oder soll. Bedenkenswert ist, daß man in seiner Freizeit den Fernseher einschaltet, was bedeutet, daß von dem Freien dieser Zeit wenig übrigbleibt. In der Fundamentaldifferenz von Beruf und Freizeit diente letztere dazu, den posthistorischen Menschen von dem, was ihn heute ausmacht, nämlich der Arbeit zu erleichtern, um in dieser Erleichterung sich selbst zu erfahren. Freizeit war programmgemäß die Erlaubniszeit zur Durchführung der persönlichen Befreiung. Die Spaßwelle von heute, die in Freizeiten auf die Massen niedergeht, ist eine ständig auftretende Erleichterung vom Unrat des Berufslebens. Ein Wasserlassen der Seele. Im Massenkontext ist dieses jedoch organisiert, und bereits in den 60er Jahren gibt es die ersten Hinweise, daß das persönliche Freizeitverhalten die Züge der Arbeitswelt trägt.

 

freizeit und hobby – Eine Grundüberlegung meiner Untersuchung zur Spaßkultur ist zum Teil deckungs- und deutungsgleich mit der These von Walter Kerr, die er in seinem im Jahre 1961 erschienenen Band The decline of pleasure darlegt. Die Grundüberlegung ist Folgende: Bei Durchsicht von allerlei Massenvergnügungen, Einzelfreuden und deren gesellschaftlichen Ausprägungen ist deren organisierter, zum Teil strenger, zum Teil uniformer, d.h. unfreier Ausdruck augenscheinlich. Bei der Draufsicht auf das Spaßphänomen (z.B. bei Kerr im Amerika der 60er Jahre) wird seine Ernsthaftigkeit klar. Stimme ich jedoch mit ein und lache mit, ist die lachende Horde ausgeschaltet. Die These Kerrs besagt, daß die Idee einer Einsicht verloren wurde, einer Einsicht in die lachende Horde. Eine Einsicht im Sinne eines Mitgröhlens ist die Ansicht von blökenden Schafen. Eine Hauptursache für die Rationalisierung, Orientierung und Uniformierung des heimischen oder öffentlichen Vergnügens ist nach Kerr die Zunahme der Freizeit ohne die implizite Klärung dessen, was das 'Frei-' in dem Wort Freizeit eigentlich bedeutet.

Die paradoxe Struktur des heutigen Vergnügens sieht Kerr in Hinsicht auf die Bedeutung von Arbeit: "In a contrary and perhaps rather cruel way the twentieth century has relieved us of labour without at the same time relieving us of the conviction that only labour is meaningful." (Kerr, 1961: 40) Kerr beschreibt die Beschleunigung des Alltagslebens, die am Arbeitsplatz ihren Ausgang nimmt und sich in der Freizeitgestaltung fortsetzt. Freilich sei in jedem von uns, so Kerr, ein Rest, eine Spur einer Idee des ursprünglichen und freien ("uncorrupted") Vergnügens, Erinnerung von echten Begeisterungen, wahrer Freude, die allesamt, z.T. auch in kindlichen Erlebnissen fundiert, von orientierten Vorstellungen gänzlich befreit, als Sekunden des Glücks existierten. Ebengleich mit Flusser (siehe das Kap. Kommunikologie und Strategie weiter unten) sieht Kerr aber in der Neigung oder den Versuchen, die wahre Freude walten zu lassen, das Aufkommen eines schlechten Gewissens: "It is probable that our very awareness of the existence of pleasures that we are either postpostponing or denying ourselves adds to the tensions induced by unrelieved labour. We feel guilty when we take our pleasure, because there is so much work we might do." (ebd.:41) Umsichtiger, aber nicht weitsichtiger als Flusser erkennt er den gleichen Effekt als innere Weise des Arbeitslebens: "We feel guilty when we work so hard, because our lives may depend upon pausing for pleasure." (ebd.:41) Eine weitere Art unglücklichen Bewußtseins und somit die einzige Art zu ihrer jeweiligen Zeit. Die beiden schlechten Gewissen in Arbeit und Freizeit sind nicht in Einklang zu bringen. "The two guilts are incompatible, and we suffer further from the head of steam their mutual abrasiveness builds up." (ebd.:41) Eine der Auswucherungen, die aus dem schlechten Gewissen bei der Freizeitgestaltung hervorgegangen sind, ist nach Kerrs Beispiel die "Do-it-yourself"-Welle, die in den späten 50er Jahren in den USA ihre anfängliche Blüte nahm. Das Selbermachen meint Weiterarbeiten in der Freizeit. Diese Idee der Produktmacher erleichterte die 'Freizeitnehmer' von der schweren Bürde der Abwesenheit werthafter Arbeit und erleichterte sich selbst von der Bürde der Fertigstellung. Die Idee eines Hobbies, im Sinne einer Bastelleidenschaft, o.ä., hat im alltäglichen Gebrauch etwas Harmloses an sich - bis es sich verwirklicht, sich zuläßt. Das Hobby wird zu einer Art professioneller Arbeitsmanie: Hobbygemeinschaften und Vereine werden gebildet, regelmäßige Hobbyausübung, wenn es die Arbeit zuläßt, wird avisiert, und man strebt nach Komplettierung und Optimierung (z.B. von Sammlungen, oder von Ausrüstung, etc.). Problematisch ist hier, inwiefern zunehmend ritualisierter Vorgang ausschließlich am Arbeitsleben orientiert wird. Riten und Rhythmen finden sich bekanntlich in natürlichen und kulturellen Urformen, wie zeitlichen Abläufen, Zyklen oder sozialen Handlungsmustern.

Manche Hobby- und Spaßorganisationen, z.B. Karnevalsvereine speisen ihre Darstellung neben betrieblichen von militaristischen Strukturen. Die Aufmärsche und Sitzungen zeugen nicht nur in Wortwahl davon. Persifliert werden inhaltlich politische und allgemeingesellschaftliche Vorkommnisse und miliärisches Aussehen und Gebaren, aber nicht die Struktur der karnevalistischen Vereinigung als militaristische selbst. Zur Aufrechterhaltung der Betriebhaftigkeit ist der nötige Ernst von Nöten, könnte es dort heißen. Bei aller Kritik der Arbeitshaltung während der Freudeausübung muß festgestellt werden, daß große Mehrheiten in der Bevölkerung in dieser Hinsicht programmiert sind, und daß der individuelle Eindruck wesentlich ein gelöster ist, trotz seiner Eingebundenheit in organisatorische Zwecken. Sehr wohl sieht auch Kerr in der Kritik am amerikanischen Alltag der 60er Jahre wiederum die mögliche Schwäche eines ultimativen Gegenentwurfs zum arbeitsamen Vergnügen, wenn er schreibt: "Restlessness, and even unhappyness, is in some measure an excellent thing. Any species that is wholly contended, perfectly adapted to its environment, runs a real risk of extinction (...). Absolute felicity is fatal. The wholly contended creature vanishes into the soil around it, victim of that immobility that comes of never having to lift a finger.....what mankind requires is a decent challenge, a serious but not overwhelming source of worry, that may in turn provoke a decent, vigorous, creative response.", und im Folgenden gleichsam eine kreative von einer sich abnützenden Rastlosigkeit unterscheidet. Die Wichtigkeit der Lebensanforderung und die drohende Regungslosigkeit eines toten Glücks begleiten die Vorstellungen von einer echten Freude, die die vorherrschenden Lebenshalbheiten hinter sich läßt. – Zoran Terzic, 1997


"Es hat mir Spaß gemacht" - gibt es heute ein besseres Argument, etwas zu tun?

Spaßbewältigung (1997)

Was tun, wenn alle Spaß haben?

MONTAG

DIENSTAG

MITTWOCH

DONNERSTAG

FREITAG

SAMSTAG

SONNTAG

spaßwert Das Gesamtthema des Spaßes berührt Fragen des allgemeinen Lebensverständnisses. Als Generalargument des eigenen Tuns und Urteilens prägt der "Spaßwert" den heutigen Menschen, der in seinem Entwurf Ziele und Handlungen sinnvoll zu verknüpfen strebt.
Moderne Gesellschaften haben das Thema instrumentalisiert und "unkenntlich" gemacht. Unkenntlich ist das Instrument Spaß, weil es als implizites Objektmerkmal die Produkt- und Ereignislandschaft prägt.
Das Stichwort vom "Imageverkauf" führte zur Schwerpunktverlagerung vom Produkt zum Produkterlebnis. Dazu ist die Differenzierung der "Produktsubstanz“ von deren "Attributen“ notwendig gewesen. Stuart Ewen (1988) glaubt, daß diese Tendenz weit zurückreicht: "This separation of form from substance became a characteristic paradox of ninteenth-century industrialism. By the latter half of the century, the notion of design as the application of a mystifying mask had become established as a principle of the age.“ Die aufkommende und sich aufzwingende "Begeisterung am Irrealen“ (Friedell, 1954), von der auch Mitroff und Bennis im Buch "The Unreality Industry“ berichten, ist zum Verhängnis geworden, denn die Abstraktion von der Substanz des Produktes, ließ auch die Relation des Verbrauchers zum Konsumgut vom konkreten sozialen Dasein abstrahieren. McCracken (1988) beschreibt in dieser Hinsicht die Anfänge individuellen Präferenzverhaltens im England des späten 16ten Jahrhunderts und dessen massenhafte Verbreitung im 18ten Jahrhundert.

Produkte innerhalb des Produkterlebnisses nennt man heute "Service", was neben der bloßen Ware den Spaßwert zu sichern ermöglicht. Sicherung von hohem Lebensvergnügen verlangt hohe Sicherheit, d.h. entsprechende Geldmittel. Der virtuelle Spaßwert hat hierbei sein reales Zahlungskorrelat, und in der Multiplikation auf Staatsebene ergibt sich daraus der enorme Erlebnisanteil am Gesamthaushalt westlicher Länder.

traumarbeit Arendt (1958) sieht in der Neuzeit den Ausgangspunkt der Bewegung vom "Animal rationale“ zum Menschen als "Arbeitstier“ und somit die Abkehr von dem Primat des politischen Handelns hin zur Arbeit als "Quelle aller Werte“.
Flusser (1967) erläutert diese Ansicht: Ein Wert im traditionellen Sinne sei eine Handlung, die etwas, das ist, in etwas verwandelt, das sein soll. Diese Verwandlung beruht auf Arbeit. Das historische "Animal laborans“ schuf Werte, indem es, wie Flusser sagt, herstellte und erzeugte, also etwas (z.B. Leder) in ein Seinsollen (z.B. Schuhe) überführte, was ohne es einfach nur "da wäre". Die wertvollen Artefakte wurden ausgestellt, und das an ihnen, was den Wert ausmachte - nämlich das Herstellen und Erzeugen - fand einen Gegenwert im Zahlungs- bzw. Tauschmittel. Man verkaufte zwar seit je her ein Produkt, aber was man bezahlte, war nie das Produkt selbst, sondern dessen Wert in Form des hergestellten Erzeugten.

Die heutige Unterhaltungsmaschinerie (Produzenten, Programmierer und Moderatoren) verkauft nach eigenen Angaben "Träume", d.h. nicht zu Ende gebrachte Vorstellungen. Der Gebrauch des Produkts soll den Lebensgebrauch unterhalten. Dieses Produkt ist wertvoll. Im obigen Sinne soll ein Wert verwirklicht werden: Es soll ein Sein, namlich das Dasein selbst, in ein Seinsollen, nämlich das bessere Leben, Heiterkeit, Glück, Spaß, etc. überführt werden. Das Perfide bei dem Transfer ist die Tatsache, daß der Käufer (z.B. Zuschauer) Teil des Produkts (z.B. Programm) wird.
In "The McDonaldisation of Society“ (1989) beschreibt der Soziologe George Ritzer, ausgehend von Max Webers Theorie der Rationalisierung, die Auswüchse unternehmerischen Handelns durch das formale Vorbild der Fast-Food-Kette. Die Strategien zur Rationalisierung, nämlich Effizienz, Quantifizierung, Vorhersagbarkeit und Kontrolle, führen dazu, daß der Verbraucher immer mehr die Dienstleistungen des Unternehmens übernimmt. Diese Tatsache wird paradoxerweise als Serviceleistung verkauft. Beispiele, wo man die Arbeit des Unternehmens übernimmt, sind: Selbsttanken, Selbstbedienungsrestaurant (hier ist ein Argument die Schnelligkeit, vergessen wird aber, daß man oftmals in der Schlange stehen muß), Bankautomat (man wird auch während der Geschäftszeiten an das Gerät verwiesen), etc.
Ein Gegentrend scheinen vielleicht Reiseangebote ("All in one"), bei denen man fast nichts tun muß. Aber man muß es eben, wenn man Teil des Reiseprogramms ist.

Die Instrumentalisierung ist ein Marktphänomen, also ein Wechselspiel zwischen Angebot und Nachfrage. Angebote bietet die Freizeitindustrie in Hülle und Fülle, und sie meint nur auf die steigende Nachfrage auf Lebensqualität zu reagieren. Die Streuuung der Attraktoren Leichtigkeit, Reinheit, sanfte Lust, Abenteuer, Gesundheit, Zärtlichkeit, Erfolg, etc., also dieses gesamte Spartenwesen, das als Köder zur Kundenfindung dient, hat sich als effektive Strategie erwiesen, affektiven Bezug zum Käufer herzustellen.
Die Herkunft der Attraktoren selbst darf man statistischen Erhebungen zusprechen, als auch den projektiven Ansichten der Werbemacher. Die Absurdität, die sich ergäbe, würden die "Träume" (z.B. Reinheit) allesamt verwirklicht, ist offensichtlich. Ebenso offensichtlich ist, daß die Werbecodes inzwischen mit Leichtigkeit gelesen, durchschaut werden und trotzdem ihr Ziel erreichen können. Das Absurde heute ist, daß alles offensichtlich ist. “There are no secrets anymore“, stimmen auch Mitroff und Bennis (1993) überein, “because of both the intrusive nature of the media and the willingness of more and more people to expose themselves to gain their fifteen minutes of fame.“ Die offensichtliche Entblößung der Privatperson, des sonderbaren "Idioten“, und seine "Wunderbarmachung“ führt zum Verschwinden der letzten Geheimnisse.
Dem Abwesenden kann man alles offenbaren, wie vor dem Altar. Die Abwesenden sind wir alle, und die Tendenz geht dahin, daß wir im Produkt anwesen, nicht in einem Universalprodukt, wie es z.B. ein Weltbild war, oder Gott, oder Nation, sondern in einem spezifischen Programm.

Der moderne Mensch, also der massenmediale und biologisierte, wird erst im Programm (z.B. Genetik) ersichtlich, durch das er anwesend ist. Das "Equipment" sind die Indices der Lebensprogrammierung, wie z.B. Beruf, sportliche Aktivitäten, Beziehung, etc.
Bisher hat man den Fehler im Programm als Indiz für den "klassischen" Menschen, im Sinne von "Irren ist menschlich" erkannt. Dem Fehler, also dem alten, "klassischen" Menschen ist die forsche Wissenschaft, die Forschung, auf der Spur. Sie will ihn ausmerzen, ebenso wie die Programmmacher die Sendestörungen oder die Spaßmacher die Spielverderber ausmerzen wollen. Man will eine wunderbare Welt, das fehlerbehaftete Sonderbare soll deshalb assimiliert werden. Dies geht als Wertedenken in die neuere Geschichte ein.
Das Dasein des Kunden im Spätkapitalismus ist ungenügend und fehlerbehaftet. Also soll es besser sein, als es ist. Der Kunde erkennt, daß sein Leben so werden kann, wie es sein soll (Spaßwert), indem er möglichst fehlerfrei im Sinne seines Programms arbeitet (nicht krank sein, konsumorientiert leben, Hobbies nachgehen, Berufsziele verfolgen, etc.). Das Programm ist die Art, wie er leben will, um zu sein, wie er sein soll. Es ist aber auch die Art, wie er leben muß, um zu sein, wie er sein will.
Das Müssen erweist sich jedoch mit der Zeit als dominanter Ausdruck erstrebten Handelns. Das dominante Müssen ist z.B. das Konsumieren. Dieses sei vorgestellt als Brauchen, Gebrauchen, Verbrauchen, Wegwerfen, nur unterbrochen vom eitlen Haben, welches ein Vorzeigewesen besitzt.
Während die ersten drei Punkte als Teile des spezifischen Kundenprogramms fungieren, ist das Wegwerfen etwa erst seit den 70er Jahren Tatbestand einer Umprogrammierung, die in den 80er Jahren "Umweltbewußtsein" genannt wurde. Der Kunde glaubte von nun an, das bessere Leben zu erreichen (im Sinne von Konsummöglichkeit), indem er gewissenhaft Mülltrennung betrieb. Nachdem der unbedachte, gewissenlose Konsum keinen Spaß mehr machte (Abfallbeseitigung, Mülltrennung), aber nur das unbedachte, gewissenlose Ausleben (Erlebnis) als Station zur Erreichung einer Durchhaltekraft Sinn machte, versuchten die Programmmacher das Unbedachte, Gewissenlose selbst als Konsumgut zu verkaufen. Das Unbedachte, Gewissenlose war und ist das Erlebnis, die Konkretion des Augenblicks, die hohen Spaßwert verspricht, und es beruht auf Vorstellungen der Programmierer, die darauf bedacht sind, durch hohen Affektanteil die Illusion der Präsenz, also der unmittelbaren Erfahrung, hervorzurufen. Das Unbedachte Gewissenlose als Massenprodukt ist die Nonsens-, Spaß- und Erlebniswelle, die etwa seit Ende der 80er Jahre zunehmend enorme Ausmaße erreicht und die durch massenmediale Präsentation und Repräsentation stetig zur Selbstverstärkung führt.

In der Reflexion der gesellschaftlichen Verhältnisse entstanden Stichworte wie "Erlebnisgesellschaft", "Konsumgesellschaft", "Wegwerfgesellschaft", "Werteverfall", "Fast Food", "Digitales Zeitalter", “Horizontalisierung“, etc. Jedes dieser Worte drückt ein Verhältnis zu bestimmten Aspekten menschlichen Verhaltens aus. So drückt "Konsumgesellschaft" das Primat des Konsumverhaltens heutiger Kunden aus. Damit ist auch gemeint, daß es andere Vorstellungen von Gesellschaft gibt oder gegeben hat, Vorstellungen, in denen es zwar Konsum, aber nicht das Primat des Konsums gegeben hat. McCracken (1990) deutet auf die Neuartigkeit des modernen Verbrauchsverhaltens: “Culture and consumption have an unprecedented relationship in the modern world. No other time or place has seen these elements enter into a relationship of such intense mutuality.“ Stuart Ewen (1988) spricht von der “Consumer Democracy“ im Ausgang des 19ten Jahrhunderts und meint damit die auch von McCracken (1990), Mukerji (1983), Williams (1982) und McKendrick (1982) erforschte Konsumrevolution der Massengesellschaft. Es ist naheliegend anzunehmen, daß die oben genannten Begriffe zusammengehören, obgleich sie Gegenstand der Erörterung innerhalb verschiedener Disziplinen gewesen sind. Wichtig ist, meines Erachtens, diese Begriffe zusammen zu denken, indem man die Relation des Individuums zu seinem Umfeld aufzudecken sucht, damit gesellschaftliche Phänomene (Spaß, Müll, Erlebnis, Erlebnismüll) außerhalb gesellschaftlicher Disziplinen, überhaupt außerdisziplinär, erforscht werden können.

“The major defect of most treatments of TV and other aspects of contemporary culture is that they are largely conducted in isolation from many of the other major forces that are occuring simultaneously in modern societies. In the Systems Age, no major force or aspect of society can be looked at or studied in isolation – or ignored.“(Mitroff und Bennis, 1989)
Der Leitbegriff Spaß dient mir in diesem Zusammenhang als Reizwort und Richtungsgeber, verweist aber auch auf einen wichtigen Aspekt menschlichen Tuns, der wohl in vergangenen Zeiten eher in einer Haltung, einer metaphysisch begründeten moralischen Gesinnung gesucht wurde, nach Shaftesbury der Leidenschaft und der Freude. Die Frage lautet heute: Was ist aus der Freude vergangener Tage geworden?

Eine mögliche Antwort ist, dass unter den kapitalistischen Bedingungen das Ideal der Freude zunehmend durch die Fratze des Spaßes ersetzt wird, die dann bis in die Privatsphäre reicht. Menschen fangen an, sich nicht wie sie selbst zu freuen, sondern das Lachen der Spaßhorde anzunehmen, als ob es ihr eigenes Lachen sei. Das entfremdete Lachen ist das Lachen des Spaßes. Es ist das Lachen, das schließlich zur Ware geworden ist. Ein Lachen, das nicht vergeht, da es eine Programmfunktion erfüllt.

 – Zoran Terzic, 1997

Kunst und Spaß – Der Künstler ist eine traurige Gestalt. Er ist nie dabei. Sein Stolz ist Antrieb der Verweigerung. Das heimliche Vergnügen, das er dabei empfindet, ist ihm unheimlich. Kunst und Spaß sind die entferntesten Verwandten. Unendlich weit weg, aber verwandt. Man denke beispielsweise an die Erst- und Letztbegründungsabsicht beider Phänomene. Kunstschaffen und Spaßen könnten, ähnlich wie es Helmuth Plessner für die Phänomene Lachen und Weinen sah, als originäre Ausdrucksweisen, als Gesten, interprertiert werden, die als körperliche Notwendigkeiten auf extreme Umfeldanforderungen (z.B. Monotonie, Polymorphie) reagieren.

Spaßen ist Schutz vor vielfältig einstürzenden Eindrücken und bedeutet so Simplifizierung, daher die Rede vom Handeln letztlich "nur aus Spaß“, was eine weitere Thematisierung abwehrt. Kunstschaffen (=listiges Besorgen und Anfertigen) dagegen ist eine körperliche Reaktion auf die Leere und Langeweile der menschlichen Einsamkeit, als Eindruck schindende positive Geste einer Flucht vor dem "Zu-wenigen“ des Daseins. Es zwingt dem "Da“ ein "Über-Da“ auf, indem es das Unsichtbare nicht nur “sichtbar“ sondern auch erträglich macht.

Das Phänomen der gelösten Stimmung und Extase im Blickfeld des Einzelbewußtseins kann unter physiologischen, psychologischen, neorobiologischen oder phänomenologischen Gesichtspunkten analysiert werden. Die phänomenologische Forderung nach Sachnähe legt deren Ansatz nahe, allein schon um sich des Phänomens selbst zu vergewissern, ist doch im Umfeld der erwähnten Begriffe eine gewisse Unschärfe der Handhabung wahrzunehmen. Ich erwähne bewußt die "gelöste" Stimmung, um sie von dem bloßen "Stimmungshaften", leicht "Gerührten" abzusondern, während ich mit "Exstase" nicht nur das "Außer sich sein", "Ausflippen", "Weggetreten sein", "In Eins mit der Natur sein", o.a, meine. Mein Interesse gilt hier den alltäglichen Erscheinungsweisen von annähernd "extatischen", bzw. "gelösten" Zuständen, die im Zusammenhang mit menschlichen Vergnügungen, Entzückungen oder Regungen stehen. Mit Verweis auf die immense Anzahl von Veröffentlichungen zu den in diesen Zusammenhang tretenden Gebieten Sexualität und Drogenkonsum, die zum einen auf biologische Stimmulanzien und zum anderen auf kulturelle verweisen, sollen diese Felder weitgehend ausgeklammert werden. Es ist hier also die Rede von nicht geschlechtsspezifischen und nicht durch Rauschmittel herbeigeführten Phänomenen, die insofern existenziell genannt werden dürfen, als sie den prinzipiellen Unterbau für alle Arten von extatischen Zuständen bilden. Wie läßt sich nun das Phänomen der Extase angehen?


1.Phänomenologische Methode im Kontext der Exstase

Es wird damit im phänomenologischen Kontext ein affektierter Zustand bezeichnet, der von "alltäglichen" Zuständen, die man als ruhig, seriös, bedacht, etc. bezeichnen könnte, entrückt scheint, und die als Umgebung wahrgenommene Welt nicht in der Weise zu Bewußtsein kommen läßt wie es ein nicht affektierter Zustand vermag. Aus phänomenologischer Sicht spielt die bewußtseinsimmanente Gegebenheitsweise der Umgebung, die vom individuellen Zustand stets "gefärbt" ist, die ebengleiche Rolle wie die "objektimmanente" Gegebenheitsweise des Bewußtseins selbst, die von der umgebenden Situation "eingerahmt" wird. Aus diesem Blickwinkel heraus genügt es nicht, festzustellen, daß bestimmte faktische Gegebenheiten (wir denken hier an äußere Faktoren), die sich in der Umgebung (a) von Person (m) mit dem internen Zustand (x) befinden, einen Zustand (x1) der Person herbeiführen. Man muß ebenso feststellen, daß bestimmte faktische Gegebenheiten (wir denken hier an innere Faktoren) einen Zustand der Umgebung (a) in einen Zustand der Umgebung (a1) überführen, der die faktischen Gegebenheiten erst als äußere erkennen läßt.

Faktisch "gesehen" verändert ein interner Bewußtseinszustand nicht seine Umgebung. Diese Auffassung nennt man realistisch, und sie wird als einzig mögliche Form von Realismus angesehen. Man vergißt hierbei, daß durch das Behaupten von objektiven Fakten diese ebenso den Bewußtseinsinhalt "färben" wie die umgekehrte Behauptung idealistischer Auffassungen. Es ist merkwürdig, daß man die Bezweiflung des alleinigen Geltungsanspruchs äußerer Wirkungen auf inneres Bewußtsein sogleich subjektivistischen Tendenzen unterordnen möchte und übersieht, daß der objektiven, realistischen Welt unmöglich objektive Aussagenurheber entspringen können und der subjektiven, idealistischen ebenso unmöglich subjektive. Man hat dies in letzterer Hinsicht durch apriorische Aporien, wie etwa Fichtes noumenales, sich selbst setztendes Ich, oder in ersterer Hinsicht, durch mathematische Singularitäten zu erreichen versucht, um die Umfänglichkeit des eigenen Ansatzes eigentlich in erster Linie sich selbst vorzuführen. Dieses sich gegenseitige Schlucken und Umfassen der Erklärungen vermeidet die Phänomenologie, indem sie die universale "epoche", d.h. eine universale Unterlassung des Urteilens über Faktisches, sowohl aus idealistischer, als auch aus realistischer Sicht einleitet. Der phänomenalen Denkart ist die "äußere" Umgebung eine Auffassung ihrer selbst von "innerem" Bewußtsein, und das Bewußtsein eine Auffassung der Umgebung ihrer selbst.

Diese Denkart meint: "Mir als Außenwelt ist das Bewußtsein ein Vorkommnis des Inneren und als Bewußtsein die Außenwelt eines des äußeren." Die faktische Gegebenheit ist im Bezug zur "Sache selbst" nicht "abgesehen", nicht von Belang. Der faktische Realismus sieht von vornherein die Unbedingtheit seiner Auffassung von Innerem und Äußerem, indem er von der alltäglichen Konkretion des Erlebens abstrahiert, da diese nicht zu Vorhersagen, z.B. wissenschaftlicher Art, fähig ist. Im Spannungsfeld dieser objektivierenden Abstraktion und der subjektivierenden Konkretion befindet sich Husserls Phänomenologie (Held, 1985). In der Konkretion dieser Auffassung ist sachnahe Erkenntnis möglich, und um die geht es. Das stimmungshafte Erlebnis, die Extase ist nicht anders vorstellbar, als besondere Art des konkreten Erlebens, in seiner Extremform als Konkretion selbst, d.h. als Illusion des Unmittelbaren. Zu sagen: "Auf der Party herrscht eine tolle Stimmung", meint weder äußere noch innere Tatsachen, die Aussage vermittelt vielmehr überhaupt keine faktische Gegebenheit, sondern sieht von feststellbaren Beziehungen vollends ab. "Tolle Stimmung" subsummiert auf den ersten Blick die positiven Faktoren, die zu der Einschätzung führen müssen, aber die Repräsentation des aktuellen Eindrucks ist "originär" in ihrem bewußtseinsmäßigen Gegebensein. In diesem intentionalen Ausdruck wird etwas Eigentümliches vorgestellt, das nicht durch eine Aufzählung der sogenannten äußeren Umstände dargestellt werden kann. Mit dem Wort wird die Grammatik gesagt. Man meint also mit dem Sagen von "Tolle Stimmung" nicht Spezifika der Räumlichkeit in dem das Fest stattfindet, man meint nicht die einzelnen Charaktere oder die "Mannschaft", man meint nicht die Umstände, also etwaige Spiele, Vorkommnisse, Konversationen, Tänze, Musik, etc., man meint nicht die zeitlichen Zusammenhänge. Man meint vielmehr stets das "Mitgemeinte" dieser aller Möglichkeiten, den sich stets aufbauenden Horizont, der jedes intentionale Erlebnis begleitet. Man meint das "Sehen mit dem Weißen der Augen". Dieses "Etwas", das man denkt, während man "tolle Stimmung" denkt, und etwas meint, was durch die klärbaren Einzelheiten hindurch scheint, ist von Interesse, denn es ist ein Hinweis auf die Art des vorhandenen Erlebens, das nur "vorwissenschaftlich" verhandelbar ist.


2.Problematik

Wenn "Stimmung" festgestellt wird, wird im objektiven Sinne von ihrer selbst abstrahiert. Was bleibt, ist ein "Effekt", z.B. ein physiognomischer. Will ich von den Effekten abstrahieren, muß ich mich ins "Erleben" stürzen und gebe meine verantwortende Verläßlichkeit ab. Letztere erhalte ich nur, wenn ich mich "begrifflich" ins Erleben stürze. In meinem Begriffserleben verweise ich sonach auf den Grund des Effektes. Dieser Ansatz nähert sich über den Begriff des Raumes, da Erlebnischaractere sich zumeist innerhalb von Grenzen ("hier hört der Spaß auf") äußern. Es ist also nach der Art dieser Begrenzumg zu fragen.


3.Erlebnisraum

Bollnows Raumanthropologie, die u.a. auf Vorstellungen der phänomenologischen Psychologie (v.a. Ludwig Binswanger) beruht, hat in unserem Zusammenhang den Vorteil, Raum hauptsächlich als Raumerfahrung zu betrachten und somit des Menschen Erleben als Raumerleben zu deuten. Der objektive Raum ist ebenso Erfahrungsraum wie die "Enge" oder der "Weitblick" oder die "eigenen vier Wände". Was objektiv räumlich nah ist (z.B. Nachbarn) kann u.U. sehr weit voneinander entfernt sein, wenn man als Maß der Entfernung nicht Meter sondern Gelegenheit, Gemeinsamkeit, Sympathie, Umständlichkeit, Alter, etc. ansieht. Im Alltag nimmt man den sozialen Meter als Maßstab der eigenen Wertigkeit und Befindlichkeit. Beispiele: "Die dort oben" sind im konkreten Sinne ziemlich weit weg. Die "Kluft" zwischen reich und arm wird bekanntlich ebenso größer. Es ist noch ein "weiter Weg" vor uns, aber die nächste Herausforderung "naht" schon, usw.

In diesen bildhaften Beispielen ist nicht das Bild (z.B. Kluft) entscheidend. Wichtig ist die Verräumlichung der Verhältnisse. Diese sind natürlich variabel und kategorial verschieden. Der weite Weg beschreibt nicht nur bildlich einen Unterschied zur Kluft, er ist vielmehr "Herausforderungsraum", während die Kluft einen "Sozialraum" beschreibt. Der politische Meter, der historische und kulturelle, sind allesamt situativ verstellbar. Das Urmeter ist Produkt der Feststellung und Analyse und nicht ein Produkt der Erfahrung, somit dient es nur bestimmten Zwecken, z.B. der Feststellung von Entfernungen (, aber auch nur in dem Fall, daß sich der Messende und der zu Messende nicht mit annähernd Lichtgeschwindigkeit bewegen). Ein "praktisches" Urmeter war der kategorische Imperativ Kants, ein "handliches" Urmeter ist das Geld. "Time is money" stimmt nur, wenn vorausgesetzt wird, daß mit Effektivität viel Raum umgesetzt wird. Man will mächtig über die Nähe und Weite bestimmen.

Die Entfernungen "schrumpfen" heute bekanntermaßen. Dies beruht auf einer Gleichung, die Raum und Zeit zu Geschwindigkeit werden läßt. Das Schwinden der Entfernung führt im Extrem zum "Überall im Nirgendwo", im Normalfall zur "Globalisierung". Der Bezugsraum der objektiven Bewegung im ökonomischen Prozess ist hier der Globus. Die Welt, im Unterschied zur Erdkugel, kennt sich schon länger als Bezugssystem, wenn es um Besorgnisräume geht. Die Umwelt ist eben die Welt im Weltenrund, aber kein Mensch will die Welt, im Gegensatz zur Erde, vor "Umweltkatastrophen" schützen, da man sich kultivierend und schützend in ihr ausbreitet.

Lebenswelt ist Erlebnisraum. Heute ist dies wahrer denn je. Der Erlebnisstrom breitet sich aus. Er nimmt spaßend Urlaubsinseln ein, wo sich der Urlaubende breitmachen kann. Alles ist im Urlaub "ganz weit weg", obwohl im Massentourismus darauf Wert gelegt wird, die gewohnten Standards, d.h. alles wiederzufinden, was bekannt und nützlich ist. Extremurlauber verzichten auf Standards, indem sie das Erlebnis im Abenteuer suchen. Zivilisatorische Ferne weilt zwischen Angebot und Nachfrage. Diese Raumferne ist in der Raumindifferenz eines Dschungeltrips ständig präsent. Jeder nächste Schritt schafft den nötigen Weitergang. Die ungewohnte Undurchdringlichkeit ist als exotische Ferne präsent. Gefahrräume treten auf. Die Projektion "Wilde Tiere" färbt den Möglichkeitsraum, aber ebenso die Projektion "Erfahrener Dschungelführer". Der Kitzel bei Extrem- und Funsportarten ist z.T. ein ähnlicher. Das Bunji-Jumping ist so phänomenal dem Kaugummikauen analog. Der Höhenraum, der die Höhenangst beschreibt, kaut den Springenden mit gravitativen Kiefern. Das Ergebnis ist bizarr: Hochstimmung.

– Zoran Terzic, 1997


zerstreuung In seiner "Nachgeschichte" faßt V.Flusser ein wichtiges Phänomen der heutigen Zeit unter dem Stichwort "Zerstreuung" zu einer Kurzanalyse zusammen. Zerstreuung ist der Effekt, der durch das Primat des Konsums entsteht, aber paradoxerweise den Konsum nihiliert, ihn mit Verbrauchen ohne zu brauchen gleichsetzt. Die Rezeption geht in Richtung Haben und Wegwerfen, was ein Verbrauchen ohne zu brauchen ist.
Es wird heute im Hinblick auf das Wort von der Konsumgesellschaft eben nicht mehr konsumiert, da man in der Relation "Ich-Welt" von Erlebnis zu Erlebnis hetzt. Man ist so zerstreut, daß man zwar derjenige ist, der kaut, aber schon nicht mehr der, der verdaut. Das Gekaute wird ausgeschieden wie ein Kaugummi, nicht etwa, weil es unverdaulich wäre – der Verdauungsprozess geschieht nur nicht mehr im (Erlebnis-)körper, sondern außerhalb, d.h. in der Konkretion Ich-Welt.
Flusser benutzt oftmals dieses Begriffspaar, auch um wie in diesem Fall, aus der Philosophietradition stammende Erkenntnismodelle in seine Interpretation einzufügen.
Beispielsweise suggeriert er eine Dialektik zwischen "Konzentration auf sich selbst" (östliche, dem Heil dienende Tradition) und "Engagement in der Welt" (westliche, wissenschaftliche Forschung und politisches Handeln), um dieses Ost/West Verhältnis als "Illustration des unglücklichen Bewußtseins", das in Hegels Phänomenologie des Geistes eine Zwischenstufe der Geistesentwicklung (?Die Freiheit des Selbstbewußtseins“) bildet, darzustellen.

Weltverlust, im östlichen Sinne die Befreiung von der Welt, findet seinen Ausdruck in östlichen Konzentrationstechniken, die den Schleier der Erscheinung zur Wirklichkeit hin eröffnen. Weltgewinn dagegen findet seinen Ausdruck im abendländischen Engagement, welches Hand anlegt und die Welt angeht, um sie zu verändern.
Flusser erkennt aber im heutigen Kulturbetrieb eine wesentlich stärker wirkende Kraft als das politische Handeln, nämlich die Kraft der Zerstreuung. "Unsere Kultur (...) hat Techniken der Zerstreuung ausgearbeitet, die an Raffinement in keiner Weise denen des Yogin nachstehen. Gewaltige Apparate programmieren immer besser funktionierende Formen der Zerstreuung. Eine weltweite Vergnügungsindustrie ist entstanden. Wie die Konzentration in den erwähnten Kulturen dem Heil dient, so dient die Zersteuung dem Vergnügen", und da sie weder ein Versuch sei, sich noch die Welt zu finden, sondern "sich selbst in der Welt zu verlieren", bedeutete sie einen radikalen Verzicht auf Selbstheilung und Welterlösung.
Wir sehen, daß sich das dialektische Schema Ich/Welt nicht anwenden läßt. Vielmehr würden, so Flusser, Ich und Welt "aus dem Erlebnis als anstrakte Horizonte ausgeklammert" und der Akzent auf die konkrete Relation zwischen Ich und Welt gelegt.
Hier tritt Flussers eigene methodologische Haltung an den Plan: Die phänomenologische Praxis. "Ein Film, eine Zeiungsnachricht, ein Fußballspiel – all das sind Sensationen, die das Bewußtsein zerstreuuen, weil sie die Welt und das Ich absorbieren. Sie absorbieren beide Pole des Erlebnisses, weil sie von ihrer Konkretion abstrahieren. (...)Nicht also Hegel, sondern Husserl liefert die Kategorien zum Verständnis der Zerstreuung, und nicht die Dialektik – sei sie ‘idealistisch’ oder ‘materialistisch’ – sondern die Phänomenologie ist die unserer gegenwärtigen Lage entsprechende Denkart." Diese Denkart zieht sich durch das Werk Flussers, wenn auch nicht in der methodologischen Strenge eines Husserl. Der phänomenologische Blick, also die sachnahe, aber dennoch subjekt-objektive Wesensforschung, fällt in diesem Fall auf das Phänomen Zerstreuung. "Die Zerstreuung ist der Versuch, die Summe der Erlebnisse immer weiter zu steigern, also der Versuch, die Lebenswelt zu erweitern. Wir leben in der Sucht, immer neue Erlebnisse zu haben, wir sind sensationssüchtig. Wir leben so, weil wir überzeugt sind, daß weder das Ich noch die Welt unmittelbar erlebt werden kann, sondern nur die Relation ‘Ich-Welt’, eben die Sensation. Diese Überzeugung ist der Konsens der Massengesellschaft."
Durch die Ausklammerung des Ich bei der Sensation bleibt keine Instanz der Verarbeitung, bzw. Speicherung des Erlebnisses, wodurch sich über den erwähnten Konsens der Massengesellschaft ihre Unfähigkeit zum Konsum erweist. Der Input gerät in eine Schleife, da er mit dem Output kohäriert.
In der Tat hat man bei manchen öffentlichen Erlebnissen (z.B. Kinofilm) den Eindruck, sie gar nicht erlebt zu haben. Manche Hollywood-Produktion hat z.B. die Eigenschaft, sich instantan mit dem Abspann zu verbrauchen. Man hat die Zeit mit Sinn oder Unsinn totgeschlagen und trägt nichts mit sich fort, wie nicht gesehen und nicht gehört.

Nach Flusser charakterisiere sich die Massengesellschaft durch Abwesenheit von Gedächtnis, welches zu genüge von kybernetischen Gedächtnissen ersetzt worden sei. Dies ist der Grund, warum man heute in sich abnützende Erlebnisschleifen gerät.
Die Sehnsucht, festzuhalten, was erlebend vergeht, drückt sich beispielsweise in Urlaubsfotos, Souvenirs und sonstigen ?Mitbringseln“ aus. Darin wird auch die Einsicht der Unmöglichkeit eines solchen Vorhabens deutlich. Die Sehnsucht der Wiederholung wird der leibliche Apparat des Erlebenden.
Die mangelnde Distanz, die einem dabei Produkte der "Spaßinstanzen" lassen, soll eine Unmittelbarkeit des Erlebnisses vermitteln, was aber in seiner quantifizierenden Art nur die Abnutzung der eigenen Absicht erreicht.

Eine quantifizierende Art ist z.B. Lautstärke oder die Anzahl der Lautsprecher in einem Kino. Das, was früher metaphorisch überhöht "Einhämmern" oder "Einbleuen" genannt wurde, hat heute in Kinosälen die Metaphorik überwunden. Extremste Beispiele, in ihrer fundamentalistischen Art zunehmend, sind Kinofilmvorschauen. Man kann bisweilen in wenige Sekunden dauernden Trailers bis zu 20 "Peakpoints" zählen, d.h. höchste Intensität von Klangumfang und Lautstärke bei Szenenwechseln oder Action-Darstellungen.
Diese Bild/Klang-Ohrfeigen sind körperlich spürbar - die Frequenzen der Basslautsprecher lassen die Magengegend vibrieren - sie provozieren Affektivität im wörtlichen Sinn: Sie machen an. Die Empfänglichkeit für nachfolgende Filme und Werbebotschaften nimmt zu, da der Empfänger in Stimmung gerät. "Arguments in advertising to people’s egos need not be strong if the advertisement puts the consumer in a good mood.“ (Gresco, 1996)

Die Werbeargumente müssen nicht stark, aber dafür z.B. laut oder bunt sein. Der Grund dafür ist, was von Sozialpsychologen "Peripheral Route Processing“ (PRP) genannt wird.2 Lesniak (1996) erläutert PRP indem er die Kampagne (?Alive with Pleasure“) einer Zigarettenmarke (Newport) untersucht und feststellt: "This ad uses the peripheral route to persuation in that it ties to avoid the active and conscious cognitive process of the central route. The advertisers focus on the peripheral route so that their audience, the consumers, will overlook the real task of the ad – to sell cigarettes. The advertisers would like the consumer to associate the fun that the characters are experiencing with Newport cigarettes. Peripheral route processing ignores the facts of cigarette smoking which would be more noticeable during central route processing.“ Um das Identifikationsphänomen, also die Gleichsetzung der Idee des Spaßes mit dem Produkt zu erklären, beruft sich Lesniak auf die "Self Perception Theory“ (Bem, 1972), derzufolge "people assume that the behavior of other people and the context in which it occurs provides information about the presumed attitudes of the people.“ Es geht um die Einstellungen und Ansichten der Rezipienten. Diese unterliegen einem ständigen Wechsel und weisen keine Permanenz auf sobald sie über die "peripherale Route“ verarbeitet werden, im Gegensatz zur zentralen Informationsverarbeitung, die verstandesgemäß, prospektiv und auf Erhaltung der Einstellung als Referenz für Begründungsabsichten gestaltet ist (ebd.).

Die Absicht der Werbemacher ist es, die zentrale Prozessierung möglichst auszuschalten, um die freie Assoziation in Gang zu setzen, die über die Einstellungsänderung zur Kaufentscheidung und -handlung führen soll. Da PRP nur für kurzfristige Effekte sorgt, ist es an der Emission der Botschaften, die Wirkung zu verstärken. ?Advertisers may also take advantage of the effect of recency and frequency of viewing ads. A person is more likely to relate to a product or advertisement that they have just experienced because it is still fresh in their memory. (...)In a study by Zajonc (1968), he demonstrated, that presenting the same object to people on multiple occasions increased liking for that object.“

Die Wiederholung des Gleichen ist eine Analogie zu den Erlebnisschleifen, die, einer blinden Strategie folgend, das ‘Andere’ abgeschattet haben. Die Strategie der "Spaßmacher“ ist nicht blind, aber bisweilen ohnmächtig, denn sie sind nicht immer Herr dieser Feedback-Geschehnisse auf dem Informationsmarkt. Wesensmäßig ist also ein "Fuchteln“ der Programmmacher festzustellen. Sie müssen immer mehr fuchteln, daß man sie hinter der Glasscheibe, die Individuation ("Cocooning") genannt werden kann, erkennt. Sie wollen sich in das Programm des Zuschauers "einklinken“, um ihn in ihr Produkt aufzunehmen, während der Zuschauer glaubt ein Produkt zu konsumieren, indem er erlebt. Aber das heutige Erlebnis ist eben das "vergessene" Erlebnis, der Genuß des "Ausgeschiedenen" (Flusser, 1981) an Ein- und Ausgang eben der vergessene Genuß.
Was bleibt, ist dieser seltsame Durchgang. "Wormlike-feeling", zitiert Flusser das Wort von der Massengesellschaft. Die Wiederkehr des Abgenutzten prägt die Apparatur der Wesensmacher und Planer. Ein bloßer Durchgang ist aus dem Verdauungstrakt der Masse geworden.

Der konsumierende Mensch sei, wie Flusser betont – im Gegensatz zum "summierenden", möchte man meinen – von Apparaten nicht restlos zu Kanälen umprogrammiert worden, da es außerordentlich schwierig sei, das auf Historie fußende westliche Bewußtsein zu zerstreuen. "Wissenschaften des Vergessenen" und Unverdauten, wie z.B. Etymologie, Psychoanalyse und Archäologie - überhaupt Quellenforschung - ermöglichen erst das Bewußtsein für Konsumierbarkeit, für Verdauung. Zudem hat die enorme Wissensmenge, die durch die moderne Wissenschaft hervorgebracht wurde, das Bewußtsein von der Welt gestärkt und den "informierten" Bürger herausgebildet.
Flusser meint - und ich teile diese Meinung nicht - daß wir deswegen weit bewußter seien als vorangegangene Generationen. Wären wir es, hätten wir beipielsweise "Anti-Stress-Vorkehrungen"(Mühlmann, 1995) getroffen, um kulturelle Entladungen zu verhindern. Die Zunahme der Wissensmenge steht zudem in jeder Kultur in Zusammenhang mit der Struktur der jeweiligen Eliten. ‘Wir wissen heute mehr’ heißt immer: Bestimmte von uns und unseren Vorfahren haben schon immer mehr über die Welt gewußt als die meisten von uns und unseren Vorfahren, so daß bis heute und auch heute die Bestimmten einen gewissen Vorteil besitzen. Die Bewußtseins-Designer zehrten schon immer von ihrer informierenden Kraft, aber sie sagten stets "Wir alle“.

Bewußter sind wir alle in der Hinsicht, daß wir uns der Abbildmechanismen und Zeitverläufe bewußter werden. Die erwähnte Offensichtlichkeit der Botschaften, der Bilder, die durch das ?peripherale“ Ansinnen aufkamen, trägt nämlich in sich eine intellegible Abgeschlossenheit und Vermitteltheit, die gewissermaßen einen "peripheralen Reflex“ hervorruft, der zentral prozessiert wird. Das Abnutzen der assoziativen Bild- und Tonmaschinerie ist dieser Bewußtseinsprozess selbst. Rein peripherales Prozessieren ist durch die Geschichte seiner Anwendung unmöglich geworden. Ciompis Affektlogik (1993) postuliert im Gegensatz zum strengen Kognitivismus eine apriorische Koppelung von Affekt- und Kognitionssystem. Wahrnehmungen werden hier bestimmten Affekten zugeordnet. Nach dieser Ansicht wären Emotionen intellegibel, insofern sie Korrelate der reflexiven Bewußtseinsprozesse darstellen. "Die affektbeladenen Wahrnehmungen werden zur Stirnhirnrinde weitergeleitet, die die höchsten integrativ-kognitiven Fähigkeiten besitzt. So werden einzelne Wahrnehmungen zu komplexen Systemen verbunden. Zusätzlich regen die Mandelkerne über eine Verbindung den Hypothalamus an, der seinerseits durch Hormonausschüttung das gesamte vegetative Nervensystem beeinflußt und so auf die Stimmung des Menschen einwirkt.“ (Sverdlov und Möllemann, 1998)

Das komplexe Ineinandergreifen der peripheralen und zentralen Verarbeitung, also des Gefühls- und Denkapparates, bewirkt, daß PRP eine Bewußtwerdung trotz permanenten "Beschusses“ letztendlich nicht verhindern kann, denn die geweckten Emotionen suchen nach "Sinn“, und zumeist ?finden“ sie ihn in der Erinnerung (Ciompi, 1993). Außerdem bewirkt das Merkmal der Wiederholung an sich schon ein zentrales Prozessieren. Wiedererkennen ist eine kognitive Leistung durch Erinnerung, auch wenn das Wiedererkannte selbst ?peripherales“ Prozessieren bewirkt. Die "Blockade“ der zentralen Verarbeitung während PRP ist somit eine scheinbare, dennoch überwiegt der entwicklungsgeschichtlich ältere Teil des Affektapparates den des Kognitionsapparates, die redundanten Werbebotschaften gehen mehr oder weniger in die ständige Regulierung der kurzfristigen Einstellungen ein.

In der kritischen Auslegung der linearen Informationsmodelle von Shannon und Weaver merkt Chaboudy (1998) an: "The repetition of information clears any noise or interference that might mess up the message and distort what the receiver hears.“ Einerseits bewirkt bloße Redundanz keine Zunahme an Information – strukturell kann Redundanz keine Information beinhalten, sie bedeutet nur die Formation der Information –, andererseits bietet sie ein formales Gerüst (Formation), das die Annahme von Information erst ermöglicht. Das Wahrnehmen dieses Gerüsts ist bewußtseinsbildend, da in der Redundanz eine Unwahrscheinlichkeit liegt (Chaboudy, 1998). Sie ist negativ-entropisch, da die natürliche Tendenz auf Destruktion und nicht auf Repetition aus ist, und in der humanistischen Auslegung dieser Worte würde man davon sprechen, daß in ihr eine Absicht erkennbar wird. Beispielsweise hat man in der Astronomie die Entdeckung der Regelmäßigkeit einer Pulsaremission zunächst als Zeichen von außerirdischer Intelligenz angesehen.
Das Pulsieren der Werbebotschaften kann dem ersten Anschein nach ebenfalls auf Intelligenz (z.B. Kreativität) hindeuten, oft stellt es sich jedoch als das unablässige Pulsieren eines Apparates dar.

Die verschiedenen Grade des Pulses sorgen innerhalb der persönlichen Mediengeschichte eines jeden Rezipienten für mediale Bewußtheit. Ontologische oder mediale Bewußtheit bedeuten aber keineswegs kulturelles Bewußtsein, vielmehr aber das Bewußtsein der Zunahme kultureller Eigenschaften durch geschichtliches Denken. Das ontologische "unglückliche Bewußtsein“ Hegels ertragen wir kulturell, aber nicht ontologisch: "Das Bewußtsein des Lebens, seines Daseins und Tuns ist nur der Schmerz über dieses Dasein und Tun, denn es hat darin nur das Bewußtsein seines Gegenteils als des Wesens, und der eigenen Nichtigkeit.“ (Hegel, PhG1807)
Flusser sieht in dem "ontologischen Unglück" den Hauptimpuls für das Streben nach Zerstreuung, nach dem "Trommelfeuer von Sensationen".
Dieses Streben beschreibt eine merkwürdige Fluktuation zwischen Wollen und Müssen, zwischen dem notwendigen Zufallenden und dem zufallenden Notwendigen, und es beruht auf einem, wie Flusser sagt, "schlechten Gewissen". Wir streben mit Notwendigkeit etwas an, was wir nicht als höchstes Gut ansehen, nämlich den Genuß. Insofern seien wir keine Hedonisten, als diese dem Vergnügen den größten Wert zumessen. "Das aber ist hier nicht der Fall. Wir sind überzeugt, daß der Genuß nicht das höchste Gut ist. Traditionell haben wir andere ‘höchste Werte’, zum Beispiel Freiheit, Gerechtigkeit, Menschenwürde. Von diesen Werten sind wir überzeugt, daß sie zwar die höchsten sind, daß es aber unsinnig ist, sie anstreben zu wollen".

Dem angedeuteten Werteverfall westlicher Gesellschaft stellt der heutige Mensch den "Genußkonsens" entgegen, aber er hat ein schlechtes Gewissen dabei.
Die traditionellen Werte haben Geltung, auch für den Spaßmacher. Ihre Verwirklichung, so Flusser, führe notwendig zu ihrem Gegenteil, "... nämlich zur Versklavung, zur Parodie der Gerechtigkeit, zur Entwürdigung des Menschen."
Die westliche Erfahrung, daß die Verwirklichung des Seinsollens dessen Sein negiert, ist die Erfahrung des heutigen unglücklichen Bewußtseins. Es kann (im Gegensatz zur buddhistischen Lehre) ohne das Streben nach etwas, also das Denken eines Wertes, nicht bestehen, aber das Erfüllen dieses Strebens führt ebenso zu seiner Vernichtung. Das Erfüllen ist sein Verlust. – Zoran Terzic, 1997

 

strategien der spaßbewältigung Die Sinnlosigkeit (Entropie) und die Vernichtung in der Vollendung (Extropie) begründen wesenhaft den Menschen an der Schwelle des dritten Jahrtausends. Ihm stehen das Engagement und die Verantwortung tugendhaft gegenüber. Im Hinblick auf die Spaßkultur läßt sich die Polarität, die zur Dialektik wird, als zum einen die Idee der wahren Freude, die durch ihre bloße Setzung ihre Fratzenhaftigkeit erfährt und somit Parodie wird, und zum anderen die aus der Parodie hervorgehende Schadenfreude, also in einem speziellen Sinne das objektivierte Vergnügen, ausmachen. Dieses läßt das Bewußtsein an etwas erfreuen und ist nicht die Freude selbst. Damit etwas “Spaß macht“ muß sich im ‘an’ die Relation des Subjekts zu seinem Gegenstand wiederfinden, es muß sich aber auch das Aufgehen im Erleben als Objektivierung des Vergnügens ergeben.
Die Schwierigkeit, die sich bei der Erforschung des Spaßphänomens ergibt, ist somit die Uneindeutigkeit der Stadien. Vom sanftmütigen Lächeln zum hämischen Grinsen herrscht bewußtseinsintern ein zwiespältiger und schwer zu fassender Unterschied, eine Differenz.
In der Absicht, Spaß haben zu wollen, liegt der Ernst und das “Unglück“ der Sache, in der Entfernung von dem Vergnügtsein aber liegt eine schwerwiegende Kränkung des Selbst. Die Antwort auf diese Kränkung ist die unmittelbare und erzwungene Genußsucht, die aufbauend nach Selbstbefriedigung sucht. “Es [das Selbstbewußtsein] stürzt also ins Leben und bringt die reine Individualität, in welcher es auftritt, zur Ausführung. Es macht sich weniger sein Glück, als daß es dasselbige unmittelbar nimmt und genießt. Die Schatten von Wissenschaft, Gesetzten und Grundsätzen, die allein zwischen ihm und seiner eigenen Wirklichkeit stehen, verschwinden als lebloser Nebel, der es nicht mit der Gewißheit seiner Realität aufnehmen kann; es nimmt sich das Leben, wie eine reife Frucht gepflückt wird, welche ebensosehr selbst entgegen kommt, als sie genommen wird.“ (Hegel, PhG 1807:259)

Der Versuch, die Kränkung zu überwinden führt aus sich zum toten Erleben. "Where have you been? Out. What have you done? Nothimg.“, lese ich den Spruch R.Roberts und interpretiere ihn konträr zu Kerr (1962), der darin das Zeugen eines Lebensgewinnes (durch Nichts-Tun-Müssen) sah. Beide Interpretationen sind richtig, allein abhängig von der Einschätzung des Wörtchens nothing.
Als eine Hauptstrategie der Lebensbewältigung stellt sich z.B. die "Unterlassung als Form der Vollendung"(Bazon Brock) oder als ‘Form der Überwindung“ (christliche Lehre). Eine andere Hauptstrategie besteht in der besagten Zerstreuung. "Lebe in den Tag hinein", schallt es von dort. Während der unterlassende "Selbstfesselungskünstler"(Brock) aus dem Tag hinausschreitet, um ihm am "Großen Mittag"(Nietzsche) zu begegnen, meint der Zerstreute sich bereits dort aufzuhalten. Das nach F.O.Bollnow im Umfeld des Begriffs Glück liegende Phänomen begleitet beide Strategien, auch eine dritte Strategie, nämlich etwas, das man als bewußte Zerstreuung bezeichnen könnte.

Während das Unterlassen kein Lächeln gebiert, und das Lächeln des Zerstreuten zur Fratze geworden ist, mag die bewußte Zerstreuung eher eine Anleitung zur Schizophrenie, einerseits des klassischen Werkschaffens und Strebens, andererseits der distanzierten Gelassenheit, sein. Es ist eine Anleitung zum Lächeln aus der Distanz, eine vermutlich in Martin Bubers Begriff der "Beziehung" zu findende Anspielung, die sich nicht von Erkenntnis oder Erlebnis nährt, sondern eher von einer "Metaphysik des Versuchs".
"Einen Versuch ist es wert." In dieser Aussage liegt kein Argwohn, es liegt auch kein befangenes Interesse am Werk oder bloße Gelassenheit der Distanz vor. Versuch fordert keine Vollendung, kein Werk. Er ist auch kein Suchen oder Streben nach etwas. Die Strategie des Versuchs ist eher etwas, das vor ca. 2400 Jahren der vorsokratische Philosoph und Mathematiker Archytas von Tarent fragmentarisch auf den Weg gegeben hat: "Man kann nur zum Wissen gelangen, indem man das, was man nicht weiß, entweder von einem anderen lernt oder selber findet. Das Erlernen erfolgt von seiten eines anderen und mit fremder Hilfe, das Finden dagegen durch einen selber und aus eigener Kraft. Finden aber ohne Suchen ist schwer und selten; wenn man aber sucht, ist es aussichtsvoll und leicht; wenn man aber nicht zu suchen versteht, ist es [das Finden] unmöglich“(fr.3, Von der Mathematik). Zu suchen verstehen heißt versuchen, denn es ist ja nicht etwas, das bestünde, was man also im aristetolischen Sinne nur verstehen müßte, um suchen zu können. Versuchen heißt jedoch Versuchen, ohne zu suchen. Dieser Einstellungstypus findet sich bei Charles Sanders Peirce als Idee einer abstrakten "Zweiheit“: "The type of an idea of Secondness is the experience of effort, prescinded [abstracted] from the idea of a purpose.“ Während die "Firstness“ die Einfachheit von Erscheinungsweisen, Gefühlen, also überhaupt Seinsmodi ohne Referenzialität zu anderem, darstellt, und die "Thirdness“ eine verstandesgemäße Relation und Reflexion zur Einfachheit des Bloßen und Bipolarität des Versuchs ohne Absicht vermittelt, ist der Charakter der "Secondness“ die zweckfreie Erfahrung des Versuchs und des darin eingehenden Widerstandes. "The experience of effort can not exist without the experience of resistance.“

Was man in Flussers "Spielanalyse", wonach die Massenkultur eine Mosaikkultur sei, die aus Zusammensetzspielen bestünde, ableiten kann, ist das Programm (Spielregel) und die Zerstreuung (Erlebnis). Das Spiel selbst konstruiert und konstituiert den Zerstreuten, setzt ihn zeitweise zusammen.
Das Spiel aber lebt vom Versuch, d.h. ein wesentliches Merkmal ist seine Möglichkeit, und sie ist dem Scheitern und Gelingen vorgängig. Bei Game Shows, Lotterien, Sportveranstaltungen, Schießbuden ("Jeder hat drei Versuche“) wird das Versuchen als Form der Vollendung nahezu zelebriert. Die Kandidaten, das Publikum, etc. gehen im Versuch auf, denn sie wissen, daß es unwahrscheinlich ist zu gewinnen, aber möglich ist es. Der Horizont von Möglichkeiten erschließt die jeweilige Lebenswelt. Sich darin zu verlieren ist ebenso verhängnisvoll wie ihren Möglichkeiten auszuweichen. Die Relevanz des Versuchens liegt darin, diese Positionen zu vermitteln.

Der Versuch beruht auf einem "Defizit von Möglichkleiten" und nicht auf einem Defizit von Idealen, was das Suchen begründet, und er beruht auf einer "exzentrischen Positionalität" (H.Plessner) des heutigen Menschen, der nach einer bewußten Gestaltung innerhalb seines Erlebnishorizontes strebt, indem er sich seiner "Verortung“ darin handelnd bewußt werden muß.

 

kritik der zerstreuung Flusser versucht in seinem Essay den Grundmechanismus der faktischen Gegebenheiten in der Kultur- und Vergnügungsindustrie festzuhalten. Wie auch in anderen seiner Schriften, ist er dem Begriff näher als der Feldforschung, dem Wesen näher als der faktischen Vielfältigkeit. Seine Evidenz bezieht er aus einer eindringlichen Rhetorik, die über sich spricht, aber in ihrem Ueberzeugen grundlegend auf die Welt verweist. In seinem Blickfeld befindet sich der Einzelne mit dem Dilemma seiner prinzipiellen Unentschlossenheit.
Meines Erachtens liegt eine Schwäche in Flussers Methode, daß er das "ontologische Bewußtsein" auf das kulturelle projiziert. Er oszilliert zu schnell zwischen Individuum und Sozietät, sich auf die Solidität des Wesensbegriffs verlassend.
Selbst wenn man von der Aussagekraft einer eidetischen Betrachtung überzeugt ist, im Gegensatz etwa zu manchem anglo-amerikanischen Philosophen, wie etwa Donald Davidson, wird man die innere Schlüssigkeit der Folge bezweifeln wollen, die darin besteht, das Phänomen "Individuum" mit dem Phänomen "Kultur" zu verquicken. Als Anker dient Flusser hierbei der Begriff des Konsenses, den er z.B. durch die Sensationserfahrung verwirklicht sieht. Er spricht auch vom "Wir" (Wir sind keine Hedonisten) und bildet zwischen dem unüberbrückbaren Ich und der Welt eine Brücke, die doch nach seinen eigenen und Hegels Aussagen aufgrund einer inneren Dialektik zu Bruch gehen müßte.
Warum sollte der Aussagenurheber einer Dialektik nicht ebenso in ihr aufgehen wie das allgemeine abstrakte Ich, von dem die Philosophie seit langer Zeit spricht und selten "mich selbst" damit meinte?
Hegel meint jedenfalls, das Ganze sei das Wahre, das Ganze jedoch ist überindividuell und großhistorische Folge. Der Kiesel des Individuums hat im überindividuellen den fundierenden Charakter der Ueberzeitlichkeit.

Wo befindet Flusser sich hier?
Seine Anthropologie sieht den Menschen primär im Hinblick auf Kommunikation, d.h. auf die Relation zu anderen.
Die Fähigkeit zur Symbolbildung sei dem Menschen eigentümlich, und die in eine bestimmte Ordnung gebrachten Symbole, die Codes, Folge einer prinzipiellen Dringlichkeit, sich dem anderen, der über dieselben Symbole verfügt, anzuvertrauen, d.h. sich der drohenden Sinnlosigkeit des Lebens durch Beziehungsaufnahme entgegenzuwerfen.
In diesem Entwurf zum Dasein, in dem das "Ich etwas ist, wozu man Du sagt", wird sein humanistischer Charakter deutlich - Humanismus in dem Sinn, daß Menschen einander benötigen, um die Welt mit Hilfe von Symbolen zu bedeuten.
Die so bedeutete Welt, die umgeben ist von der allesumfassenden Entropie, eines Werklaufs der Wahrscheinlichkeit, macht Sinn und schafft Wert, weil die in ihr hervorgebrachten Gegenstände stets auf den anderen verweisen.
Ein Baum z.B. ist dann "sinnvoller" Gegenstand, wenn ich ihn in impliziten Zusammenhang zum anderen hin sehe. Er muß mir in seinem Sosein irgendwie von anderen vermittelt worden sein, beispielsweise von einem Lehrer durch den Zusammenhang der Begriffe "Baum - Natur - Spezifikationen - Gebrauch, Nutzung - Material - Sinnbild, etc.). Der Baum "schafft" meinem Leben Sinn, indem ich ihn dadurch bedeute, daß ich mich mit anderen darüber verständige, was z.B. ein Baum sein kann. Diese Tautologie macht "für uns", "für mich" Sinn, weil es die einzige Art ist, zu existieren, nämlich "sinnerfüllt".

Die Tugend der Naturwissenschaften Tautologien zu vermeiden macht jedoch die Welt "für uns" und "für mich" immer sinnloser, d.h. sie erklärt in Form "urheberloser Aussagen" (Brock) den Baum als eine Gruppierung von Atomen und begründet die Relevanz dieser Behauptung mit ihrer objektiven Methode. Diese bedarf aus ihrem Selbstverständnis heraus keiner menschlichen Verständigung, bestenfalls einer Begriffsklärung und Handhabung der "Erklärungsmittel", so daß die Welt das "Für uns" und das "Für mich" vergißt.
Die Art der Rationalisierung und Objektivierung, ob berechtigt oder nicht, die den anderen zur Bildung einer Auffassung von Welt nicht mehr benötigt, wäre nach Flussers Ansatz zwar objektiv und real, aber dennoch sinnlos und unwahr.
Hier steckt noch Klärungsbedarf, ist doch die Objektivität selbst aus der Position des Sinnstrebens entsprungen. Der Drang nach objektiven Tatsachen und unumstößlichen Fakten ist eben aus der sinnvoll durch andere bedeuteten Welt geworden.
Es macht also auch keinen Sinn, nur in einem intersubjektiv gedeuteten Verhältnis zu leben, man benötigt die Idee eines Uebersubjektiven, um sich die letzte Sicherheit über die Welt einzuholen, die merklich unsicherer wird, d.h. in der Tendenzen der Zerstörung greifen.
Hier tritt die bekannte Dialektik zwischen Objektivität und Subjektivität auf, die den Grund für die weiteren Forschungen V.Flussers bildet.

Die Tatsache, daß dem Menschen das Menschsein, d.h. das mit anderen Mitsein, nicht ausreicht und er z.B. objektiv werden will, was heißt, daß er sich zu Tode erklären will, ist im Grunde der Gegenstand der Flusserschen Untersuchung.
Dem Menschen genügt nicht, nur nicht mehr sterben zu müssen (indem er sich und anderen die Welt bedeutet), er will auch leben.
Er lebt, indem er sich auslebt - und stirbt. Das Ausleben ist das Zerstreuuen in der Welt, das die Problematik der Dialektik hinter sich meint.
Flusser sieht im Phänomen "Zerstreuung" eine Flucht vor dieser Dialektik, also eine versteckte Lebensangst, die in der Erlebnissuche fundiert ist.
Diese Auffassung teile ich nicht. Ich denke, daß nicht allein Flucht, sondern auch und in erster Linie Forderung die Erlebnissucht begründet.
Im Status der Hinfälligkeit von Bewertungsmaßstäben fordert man heute den höchsten Wert. Man sucht als Publikum die Bühne, wo etwas passiert, was größer und besser ist als man selbst. Man will im Museum Objekte betrachten, die auf Häheres verweisen als auf die alltägliche Geschmacksrelativität. Man avisiert die "asketischen Priester"(Nietzsche), um sich an ihnen zu zerstreuen. Man fordert den Führer, den DJ, den Moderator, um die Zerstreuung zu koordinieren.

Flusser unterstellt dem heutigen Menschen prinzipielle Angst und die daraus resultierende Flucht vor der drohenden Lebensdialektik. Es ist jedoch nicht einmal genaue Beobachtung notwendig, um allerorts nur Forderung und Arroganz des Lebens festzustellen, wo Flucht und Angst spezifische Aspekte der Freiwilligkeit und Selbstverständlichkeit beinhalten. Beispielsweise wird man einem sich ins "Nichts" stürzenden "Bunjijumper" kaum nichtbewältigbare Aengste unterstellen. Vielmehr scheint es, daß gerade im "Abenteuererlebnis" Angst und Flucht kolportiert werden, zwar als Repräsentationen des Bewußtseins, aber doch als beliebige Tendenzen. Angst ist hier nicht fundamental, sondern akzidentell. Im "kultivierten Stresserlebnis"(d.h. das Seil ist gesichert und Tüv-geprüft) fundamentalisiert sich der Spaßeswille, die Lust zur Zerstreuung. Persönliche Todesdramaturgie dient zur Erweiterung des Lebensumfangs, der in dem Korsett der Berufs- und Ordnungswelt einzugehen droht.
Mir erscheint die Agressivität der Lebenseinnahme und -einforderung als Hauptmotivation zur Existenz, im Gegensatz zum veralteten Ekel oder der spaßfernen Sorge. Man fordert das Schicksal heraus,wenn man sich in das waghalsige Erlebnis begibt: Gefahr spüren, um den Lebensfaden neu zu knüpfen.


über-nichts und überhaupt nichts Anthropozentristische Theorien innerhalb der Philosophie haben zumeist grundlegende Angst, Ekel oder Krankheit zum Kern menschlicher Existenzthematik.So sieht auch Flusser die (formal-ontologische) Angst vor der unlösbaren Dialektik als die Antriebfeder zur Zerstreuung. Er sieht Angst vor der Sinnlosigkeit durch Entropie überhaupt als Merkmal von Existenz an.
Es ist hierbei stets etwas Abstraktes, und kein gegenstandsbezogenes Gefühl wie "Furcht vor etwas" gemeint. F.O.Bollnow hat diese negative Stimmungshaftigkeit der Fundamentalontologien, insbesondere der Heideggers, erkannt. Er schreibt: "Die ausgezeichnete Bedeutung der Angst ist die verbindende gemeinsame Voraussetzung aller Existenzphilosophie...So ruht bei Heidegger der ganze Bau seiner Philosophie auf dem schmalen Grund einer einzigen Stimmung, der Angst." (Bollnow 1956)
Die Existenzialontologien sind Philosophien der Angst. Angst im Abgrund des Lebens, Angst im Abgrund des Nichts. "Die Angst ist diejenige Grundbefindlichkeit, die vor das Nichts stellt" und "Wovor die Angst sich ängstigt, ist das In-der-Welt-sein selbst." (Heidegger 1927) . In der existenzphilosophischen Deutung sind Angst und das Nichts Komplemente einer Richtungs- und Ortlosigkeit. Sören Kierkegaard: "Fragen wir nun näher, welches der Gegenstand der Angst ist, so ist hier allwege zu antworten: dieser ist Nichts. Die Angst und Nichts entsprechen einander beständig." (Der Begriff Angst, 1844)

Flussers Antrieb wird von der Furcht vor dem Nichts geleitet. Das Nichts wird mit dem Begriff Entropie erklärt, der "notwendiges Nichts, früher oder später" meint.
Das Investieren von Energie, um Unwahrscheinlichkeit (Information) in Codes zu kleiden, bedeutet Existenzleistung, daß aber diesselbe Leistung aufgebracht werden muß, um das Mysterium der Leere zu postulieren, klammert Flusser ein.
Das Nichts als das Dasein begründender Schlund, als Apriori des Schreckens, ist eine Erfindung der Philosophie. Daß jede Lebendshandlung, vor allem die Tendenz zur Zerstreuung, sich vor einem Nichts, vor einer entgültigen Niederlage abspielt, während die Leere selbst offenbar zu einem derartigen Spiel nicht in der Lage scheint, ist befremdlich.
Vielmehr erscheint plausibel, daß wir mit jeglicher Aktion das Nichts als Reaktion hervorbringen. Mit jeglichem Erlebnis entscheiden wir uns für einen neuen Tod, bzw. neues Leben, denn das Nichts kann auch Leben bedeuten, beipielsweise in den Schicksalsfällen, in denen "das Leben an einem vorübergegangen ist".
Genauer besehen muß man unterscheiden zwischen dem wissenschaftlichen Nichts, das in Form der Entropie eine Voraussage beeinhaltet, und dem "Wesensnichts", das Sinnleere oder Tod meint. Das wissenschaftliche Nichts, also die gleichmäßige Verteilung von Information innerhalb geschlossener Systeme, sollte aber für das "Ich-Du" (M.Buber) der Existenz keine Relevanz besitzten, denn es ist eine höchstwahrscheinliche Voraussage, innerhalb derer der Mensch als Organismus erklärbar wird, in der sich das transzendetale Ego als "neuronaler Tanz", als Funktion und Interaktion von Körper und Umwelt, von Psyche und Physe ergibt.

In seinem Grundansatz bezieht Flusser zwei sich ausschließende Ebenen aufeinander, indem er die Entropie als "Beweis" des Nichts des Daseins setzt. Vor letzterem kann man sich zwar existenziell ängstigen, aber nicht vor Erkenntnissen der Thermodynamik, außer man setzt eine fundamentale Repräsentanz von Faktenerkenntnis voraus, die das besagte Nichts darstellt. Dazu fehlt aber wiederum eine verläßliche Grundlage, denn Repräsentanz setzt Präsenz voraus, diese ist jedoch vermittelt und nur verschlüsselt wahrnehmbar.
Das wissenschaftliche Nichts, also die Gewißheit sterben zu müssen, und das Wesensnichts, also der Tod, fundieren nichts, auf was das Leben mit Existenz reagieren müßte.

 

neue gegenständlichkeit Eine Neurobiologin erklärte aufgrund neuerer Erkenntnisse bezüglich der "neuronalen Enttäuschung" des Ich, daß die neue Sicht auf den individuellen Kern nicht zur Verzweiflung oder Depression führen müsse. Vielmehr sei die nüchterne Erklärung der Wissenschaft, welche aus dem "Jemand" einen "Niemand", eine bloße Gehirnfunktion schuf, eine Chance für eine neue Gelassenheit und Angemessenheit der Selbsteinschätzung.
Auch in dieser Aussage geschieht eine Verquickung der faktischen mit der phänomenalen Umgangsebene vor. Hier liegt wiederum der Kern für die Selbstüberschätzung wissenschaftlicher Forschung, denn das Wissen um das Faktische hat bisher den menschlichen Umgang nicht im Wesentlichen beeinflußt. Es hat ihn nur beeinflußt, als die Forschung neue Gegenstände hervorbrachte, die Menschen anderen Menschen neu erklären mußten.
Für die Forschung an menschlichen Vergnügungsaussichten, an der Zerstreuung, ist es nicht relevant, ob das Ich eine bloße Funktion darstellt, es ist aber relevant, wie diese Funktion in Beziehung zu anderen Funktionen "funktioniert".
Wird diese Beziehung in Hinblick auf neue Gegenständlichkeit hin aufgebaut, erscheinen Dialoge und Diskurse forschungsrelevant und zukunftsorientiert.
Wird Beziehung selbst dagegen als Gegenständlichkeit aufgebaut, erscheinen Dialoge und Diskurse anthropologistisch und überzeitlich.
Die "neuen Gegenstände" der Forschung, wie z.B. neue Medien, können als solche aber niemals auf die Beziehungshaftigkeit zwischen Menschen einwirken, um etwa neue Formen der Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt zu ermöglichen, da sie ihre Gegenständlichkeit selbst als Bezug nehmen, und nicht die Beziehung als Gegenstand akzeptieren.
"Synthetic Pleasures" sind daher ein Versuch, neue Gegenstände in jeweils "alte" Menschen einzubauen, um aus den alten und letzten Menschen neue und flexible zu formen.
Den Zukunftsmachern ist das Beschränkte der menschlichen Konstitution (Körper, Sinneswahrnehmung, Gehirnleistung, etc.) zuwider. Sie stellen dem Gedanken der Entropie den der Extropie gegenüber. Auch hier soll durch Hervorbringung neuer Gegenständlichkeit (Implantate, Robotik, Chemie), also einer Erweiterung und Verbesserung der menschlichen Konstitution, eine Ausgangsbasis für eine neue Menschenbeziehung, die sich zwangsläufig am Körperlichen orientierte, gelegt werden. Die Erwartung der Extropisten ist nicht widerlegbar. Sie haben sich das Urprinzip "Fun" auf die Stirn geschrieben, und zerstreuen sich gerichtet in grenzenlosen Aussichten.

 

die leere Ebenso wie das Nichts ist meines Erachtens der grenzenlose neue Mensch eine Fiktion, die auf gegenständlichem (alten und neuem) Denken beruht. Das Nichts kann jetzt und immer nur die "Leere des Herzens" bedeuten, von der Max Scheler sehr eindringlich spricht ("Das Raumproblem in der Psychopathologie“, L.Binswanger, Vortrag, Mitte der dreißiger Jahre).
Im Bewußtsein des Menschen ist also dessen Leere ebenso eine Existenzleistung wie das "erfüllte" Leben. Die "objektive" Leere, also die Gewißheit der Entropie, beruht auf subjektivistischen Primärvorstellungen, und nur vor selbigen kann man sich ängstigen, da sie nämlich nicht erklärbar sind.
Zerstreuung als Flucht vor der Dialektik der Unentschlossenheit gewinnt hier insofern Bedeutung, als sie ja eine "Entleerung" vor der Nichterfüllbarkeit des Verhältnisses Ich/Welt bezeugt, aber ein "erfülltes Erlebnis" als Ausgangsbasis der Erfüllung nimmt. Man erfüllt sich ständig, indem man sich ständig entleert. Der Aufnahmeprozess wird ebenso wie der Verdauungsprozess eingeklammert. Man entleert sich und ist damit gewiß, erfüllt gewesen zu sein.
Was in Worten als bloße Sophistik anmutet, erweist sich in alltäglichen Taten als traurige Bestätigung der Aussagen. Beispielsweise tritt bei Massenveranstaltungen wie dem Münchner Oktoberfest der Erfüllungs- und Entleerungsmechanismus offen zutage. Das "Entleerungsmedium" Bier wird in Mengen durch den Körper geschwemmt. Während es anfänglich "wohl bekommt", zwischenzeitlich "wie Wasser schmeckt", wird letztlich sein Aufnahmeprozess vollständig ausgeklammert, die organismische Notwendigkeit der Entleerung jedoch als intentionaler Akt in den "verschwommenen" Vordergrund gerückt.
Hier erweist sich die von Flusser postulierte Flucht vor der Relation Ich/Welt als unerhörte Suche und Fall nach dem jeweiligen ?Nichtsrahmen“. Die sichtbare Auswirkung der entropischen Gesetztmäßigkeit bietet sich als fein zerteiltes und verstreutes Abfallfeld nach Erlebnisveranstaltungen dar.
Letztlich wird man feststellen, daß Zerstreuung nichts anderes meint als Aufgehen in der Wahrscheinlichkeit, als gleichmäßige Verteilung der Information, im Extremfall als versteckte Todessehnsucht, die den Menschen in die Erlebnismasse treibt. Er fordert von sich seine Zerstückelung, die mittelalterlichen Foltermethoden in nichts nachsteht (z.B. Zynismus der TV-Unterhaltung bei Game Shows)
Der treibende Mechanismus der Programmierung macht den Massenmenschen heute wahrscheinlich, d.h. wenig informiert, im Gegensatz zur Informationselite, die durch technischen Fortschritt immer mehr Informationen sammelt.
Die Behauptung, wir besäßen heute weit mehr Information als unsere Vorfahren, bezieht sich hauptsächlich auf die Informationselite, von der auch solche Aussagen stammen. Die Mehrheit der Leute verfügt heute und seit jeher nur über so viel Information, die zur Erfüllung der Programmerwartungen notwendig ist. Daß heutige Programme auf weit mehr Information als vorausgegangene beruhen, ist für ca. 80% der Bevölkerung ohne Belang. Um eine Bohrmaschine zu benutzen, muß ich nicht wissen, wie der Strom "in die Steckdose kommt", oder wie diese im einzelnen funktioniert. In meiner Programmierung z.B. als Hobbyhandwerker genügt das Wissen einiger weniger Griffe. Das Wissen um die Grauen des Krieges ist mit der Zahl der Erfahrungen, die Informationszunahme bedeuten müßten, ebenso nicht erweitert worden.
Die kulturelle Zunahme der Information über Sinnlosigkeit und Notwendigkeit von Kriegen führt nicht zwangsläufig zu ontologischen Blockaden und umgekehrt.
Das "Trotzdem" des Handelns handelt von der ästhetischen Differenz zwischen Wurf und Entwurf. Mehr Information führt nicht zu informiertem Handeln, dagegen erreicht Emotion, als sich selbst informierende Kraft, dies sehr wohl.

 

von generation zu ‘de-generation’ Robert Bly subsummiert in seinem Buch "Die kindliche Gesellschaft" die komplexen Phänomene, die sich im Umfeld Freizeit, Erlebnis, Beruf, Glück, Spaß bewegen, unter dem Begriff der "Horizontalisierung". Er meint damit eine im umfassenden Sinne kindliche Bewegung in heutigen Sozialräumen auszumachen, die gekennzeichnet sei von der Unfähigkeit, alte "Bilder", Metaphern, die "Sprache" der Tradition und überhaupt das Geschichtliche "lesen" zu können. Das Ueberlieferte wird als "Lieferbares" wahrgenommen, kulturelle Transmissionsprozesse, wie z.B. soziales Lernen von Generation zu Generation treten zu kurz oder greifen nicht, der "Theaterdiskurs" wird zunehmend vom "amphitheatralischen" (TV) beherrscht, der Gleichschaltung und Verflachung bewirkt. Horizontales Verhalten setzt demnach ein Ausbreiten im Raum voraus, da die vertikale Transmission, also die Weitergabe von Information von Generation zu Generation in der Zeit geschieht. Dieses räumliche Ausbreiten nennt V.Flusser Zerstreuung, gemeint ist damit eigentlich eine Ausbreitung in den wirtschaftlichen Raum, ein zahlendes und dafür bezahlendes Suchen nach Produkterlebnissen.
Heiner Mühlmann von der Uni Wuppertal hat sich eingehend mit kulturellen Transmissionsprozessen beschäftigt. Kulturen sind nach ihm durch Transmissionsmechanismen fundiert, die bestimmten Regeln (lokale Regeln, Allelopathie, Kooperation, Maximum Stress Corporation MSC, Relaxation, Iteration) unterliegen. Nach Mühlmann ist ökonomisches Verhalten durch horizontale Transmission, also Ausbreitung innerhalb eines Kulturraumes, gekennzeichnet. In den traditionellen Decorumsystemen nimmt die ökonomische Wertigkeit einen niedrigen Rang ein, während Attribute wie Tapferkeit und Erhabenheit (Militärwesen) einen hohen Stellenwert erhalten. In Zeiten des Wegfallens decorumstypischer Ordnungssysteme hat die Polarisierung "Erhabenheit - Oekonomie" ausgespielt. Nach Mühlmann hat die Oekonomie den Kulturbetrieb als deren Strukturmerkmal ein- und untergeordnet. Neue Polaritäten wie "Stress - Spaß" innerhalb des Kulturraumes greifen in das wirtschaftliche Spiel zwischen Indikations- und Präferenzverhalten ein.
Das Präferenzverhalten, auf das die Industrie verschärft reagiert und es durch die beschriebene Aufnahme des Kunden in das Produkt steuert, überdeckt in zunehmendem Maße das Indikationsverhalten, welches in massenmedialem Kontext und in Wohlstandsstaaten als nicht dynamisch und nicht lukrativ erscheint.   – Zoran Terzic, 1997


 

Jeder Tag ist ein eigener Tag. Abgesehen von der jedem Zuschauer bewußten Programmtypik ergibt sich eine Tagestypik (z.B. "Samstag-Abend-Unterhaltung"). Pro Tag werden also spezifische Absichten angeboten.